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Universelle Gesichtslosigkeit

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Schon 1990 kam mir Bangkok unüberschaubar vor. Ich habe die Stadt nicht zu fassen bekommen, nicht verstanden. Sie hatte kein geografisches Zentrum, keine emotionale Mitte, vor allem aber - kein Gesicht. Abgesehen vom Großen Palast und den beiderseits des Flusses Chao Phraya gelegenen Tempelanlagen bot sie mir nichts Unverwechselbares.

35 Jahre später empfinde ich es ganz genauso wieder. Ich wage die Vorhersage, dass sich dies auch in den kommenden 30 Jahren nicht ändern wird. Etliche neue Hochhäuser werden sich bis dahin zwischen die anderen schieben und vielleicht weitere 5 Millionen Menschen hier ansiedeln.

Der exotische und irgendwie verheissungsvolle Ruf, der Bangkok seit jeher vorauseilt, ist sein sagenumwobenes und verklärtes Nachtleben. Sobald es dunkel wird, verwandeln sich einige Bezirke in kilometerlange Puff-Betriebe. Hier liegt der Unterleib der Stadt blank, während der betongraue Rest durch flächendeckendes Neonlicht ausgeblendet wird.

Natürlich wird die Reduzierung Bangkoks auf eine einzige Amüsiermeile der Stadt nicht gerecht, wenngleich dies zumindest für einige Jahrzehnte lang ihr Alleinstellungsmerkmal war. Vor allem für alleinreisende Herren aus westlichen Ländern.

Dass die 10-Millionen-Metropole auch Bühne für unzählige andere Aktivitäten ist, erfahren wir hautnah an Tag zwei direkt im Hotel. Die Lobby wird von Menschen überschwemmt, die unter körperlichen Deformationen leiden. Ausnahmslos bei allen wachsen aus dem Ende ihrer Extremitäten Handys, Kameras und Mikrophone hervor. Die mit den Körpern verwachsene Elektronik richten sie ständig auf etwas, das bereits aus zwei Metern Entfernung nicht mehr zu erkennen ist. Man stelle sich Geier vor - in schwarzen T-Shirts - , die sich auf einen Kadaver stürzen. Sie alle gehören zu einer unübersichtlichen Entourage aus Multiplikatoren, Influencern und sonstigen Hirnies, die große in Plastik eingeschweißte Ausweise um den Hals tragen und auf dicke Hose machen. Sie sind Teil der Abschlußveranstaltung zur Wahl der diesjährigen Miss Universe.

Willkommen in Taka-Tuka Land.

Fortan sind wir umgeben von meist männlichen Cyborgs, denen der Dauerstress dort eingemeisselt ist, wo sich bei richtigen Menschen ein Gesicht befindet. Den offensichtlich weiblichen(?) Objekten hingegen wurde vorab ein Dauergrinsen transplantiert. Ansonsten besteht ihre Dienstkleidung aus High Heels, die beim Umknicken unweigerlich zu einem Genickbruch führen, zu Frisuren, die kein Mensch in echt tragen wollte und Kleidern, in die kein achtjähriges Mädchen ohne Essstörung reinpasst, weil sie dafür zu fett wäre.

Da ist selbst Kochmaus glatt ein bisschen stolz auf ihren Mäusespeck und ihren wohlgeformten Kochmauskörper. Gleichzeitig erledigt sich damit aber auch ihr Traum, Maus Universum zu werden. Abgesehen davon ist sie mit ihrem zweistelligen IQ unter den Mitbewerberinnen deutlich überqualifiziert. Das muss sie spätestens erkennen, als Miss Ägypten mit einem Mikrofon, so groß wie ein Baseballschläger, am Frühstücksbuffet offensichtlich zum ersten Mal in ihrem Leben eine Ananas entdeckt. Dabei schreit sie unentwegt und hysterisch vor sich hin und versucht angestrengt, in jede der drei Duzend Kameras zu grinsen, die auf sie gerichtet sind.

Es gibt aber auch schöne und stille Momente in dem Trubel. Wir fahren mit Miss Finnland im Aufzug nach oben. Mit Miss Dominikanische Republik wieder nach unten, die währenddessen innerhalb von 40 Sekunden ununterbrochen ihr Handy beackert und bis zur Türöffnung drei Instagram-Posts absetzt.

Anhand der großen Schärpen erkennen wir sofort, wer woher kommt. Sehr praktisch. Vor allem auch für die Trägerinnen selbst, falls sie mal die Orientierung verlieren sollten. Hoffen wir für sie, dass sie lesen können. Dass wir mit unserer Befürchtung nicht wirklich allein sind, erfahren wir, als der Organisator der Veranstaltung vor versammelter Presse und laufenden Kameras Miss Mexiko bescheinigt, dass sie dumm sei.

Was uns eigentlich als Eingangsvoraussetzung für die Teilnahme erschien, löst plötzlich einen Sturm der Empörung aus. Einige Teilnehmerinnen zeigen sich solidarisch und verlassen mit der mexikanischen Mitbewerberin die Veranstaltung. Unter Absingen schmutziger Lieder schließt sich Kochmaus den revoltierenden Schärpas an und lässt diesen mäusefeindlichen Event ebenfalls hinter sich. Bald werden sie von ihren hohen Schuhen herab steigen und ihre Frisuren gegen Haare tauschen. Dann gehen auch Sie nahtlos unter in den gesichtslosen Massen Bangkoks. Mal sehen, wie ihnen das gefällt.

Erschöpft von soviel Barbie-turaten freuen wir uns erst einmal auf das Treffen mit einem echten Menschen. Ein guter alter Freund, ein Mann mit vielen Gesichtern und noch mehr Geschichten.

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