Zur Übersicht

Tschüss Tegel!

von (Kommentare: 2)

Eigentlich hätte der Drops bereits 2012 gelutscht sein sollen. „Tegel ade - BER juchhe!“ Daraus wurde dann aber nix. Stattdessen setzte sich fort, was mit der Entscheidung für den neuen Hauptstadt-Flughafen bereits im letzten Jahrtausend begonnen hatte. Nachdem im Rahmen eines Suchverfahrens von sieben untersuchten Standorten Schönefeld am schlechtesten bewertet wurde, entschieden sich 1996 der Bund und die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg für eben diesen Standort.

Aber da Politiker wissen, dass ein Versagen in ihrem Beruf nicht groß genug sein kann, um dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, sitzt man auch unfassbar teure Fehler einfach aus. Irgendwann akzeptiert es die Allgemeinheit ja doch als Normalzustand. Anfänglicher Ärger und Spott münden in desinteressierte, müde Resignation. Und nach über 20-jährigen BER-Peinlichkeiten ist das Ganze nicht einmal mehr für politische Kabarettisten ergiebig. Tiefer kann man wohl kaum sinken.

Wie auch immer: Die Eröffnung wurde - mit 8 Jahren(!) Verspätung - nun doch vollzogen. Ging irgendwie unter, zwischen Corona, Lockdown und Trump. Die verschämte Einweihungszeremonie schaffte es jedenfalls nicht auf die Titelseiten. Da gibt es einfach nichts mehr zu feiern.

Der damit einhergehende Abschied von Tegel indes hätte allerdings etwas anderes verdient. Statt großem Tam-Tam mit Feuerwerk und Knalleffekt wurde das Ganze zwar nicht kurz und knapp abgebürstet, dafür aber in die Breite getreten. Es wurde zum Abschied eingeladen wie zu einer tagelangen Kondolenz-Veranstaltung.

Auch wir reihten uns ein in den Zug der Trauernden und besorgten uns Karten für einen festgelegten Besuchstermin. Zwei Tage vor Ladenschluss richteten wir oben von der Besucher-Terrasse letzte wehmütige Blicke gen Himmel. Währenddessen hatten die Umzugsunternehmen in den Untergeschossen schon ganze Arbeit geleistet. Passend zu unserer Befindlichkeit fügte sich das Wetter in unser Zeitfenster: Grau in Dunkelgrau, begleitet von Dauerregen.

Wie begossene Pudel gingen und standen wir eine Stunde lang zwischen anderen Versprengten (maximal 100 Personen gleichzeitig auf der riesigen Plattform). Maskiert und schön auf Abstand achtend, sinnierten wir, wie oft wir in den vergangenen Jahren von hier gemeinsam abgereist sind. Frankfurt, München, Amsterdam, Zürich. Hin zu den Anschlussflügen in die USA, Karibik, Afrika und Asien.

Wie oft habe ich nach Alleinreisen - noch am Gepäckband stehend - durch die Scheiben in die Ankunftshalle geblickt und gewusst: wo es besonders hell scheint, wartet meine kleine Frau mit ihrem strahlenden Lachen. Auf keinem anderen mir bekannten Flughafen ist das auf diese Weise möglich.

Aus und vorbei. Selbst wenn wir Corona unsere derzeit gestutzten Flügel wieder entreißen und erneut abheben werden, wird Tegel dabei nur eine Erinnerung sein. Und das nicht nur für uns.

Wie Bahnhöfe und Häfen sind auch Airports mehr als nur Stationen der An- und Abreise. In ihren Doppelfunktionen als Startrampe und als Landebahn sind sie wie Katalysatoren für eine bewegte Welt. Es sind Orte, die eine eigene Aura entwickeln und verströmen. Je älter, desto intensiver. Wie ein Karma scheinen sich nicht nur die Geschichten, sondern auch die gesammelten Emotionen aller Reisenden und Wartenden in den Gemäuern abzulagern: Tränen der Freude und des Schmerzes, Erwartungen und Enttäuschungen, Umarmungen zum Abschied und Wiedersehen. Nichts davon ging hier verloren, solange der Flughafen in Betrieb war. Nichts davon wird er mehr festhalten können, sobald am 8. November das letzte Flugzeug von Tegel abgehoben ist.

Ein bisschen Wasser aus Feuerwehrschläuchen, Sirenen-Getute und Posing fürs Foto - mehr ist am Ende nicht drin für den altehrwürdigen Flughafen.

60 Jahre Geschichte gehen zu Ende. Die Dauer eines Menschenlebens. Für Hunderte Millionen von Reisenden wird er nur noch als wichtiger Ort für ihr Leben im Gedächtnis bleiben.

Wir verlassen ein letztes Mal den Flughafen Berlin-Tegel. Im Auto. 20 Minuten sind es bis nach Hause. Wenn mich meine Frau in Zukunft vom BER abholen will, wird sie einen Tag Urlaub nehmen müssen.

Wird sie das tun?

Zurück

Kommentare

Kommentar von Klaus |

TXL war einer der schönsten internationalen Flughafen Deutschlands, ja vielleicht sogar weltweit. Nicht zum ersten Mal bricht mir das Herz: München-Riem, Berlin-Tempelhof ... die Liste ist lang!
Für MUC-BER hatte ich vor vielen Jahren bereits ein Ticket, das 3 Tage vor dem Flug nach TXL umbgebucht wurde, weil BER gerade knapp mal wieder nicht fertig wurde. Nun werde ich BER nie sehen. Die Bahn fährt inzwischen in 4 1/2 Stunden von München Hbf nach Berlin Hbf. Das ist deutlich schneller als ein Flug inklusive An- und Abfahrt, Sicherheitskontrolle und Gepäckbandwarten.

Kommentar von Problemcousine |

Politisch bedingt konnten wir ja nur die Hälfte meines bisherigen Lebens von Flughäfen die Welt bereisen. Für Nordlichter bestehen immerhin 2 Optionen, HH oder eben Berlin- Tegel. Für uns war die Reise nach Berlin ebenso einfach und sogar oft noch unkomplizierter als nach Hamburg. Leider bleibt uns ( falls es noch mal wieder Flugreisen geben wird ) jetzt nur noch HH. Denn der Weg bis in die Brandenburger Weiten wird für uns nicht optimal sein. Schade. Grüße aus Schwerin.

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 4 plus 8.