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Teneriffa - Ushuaia -Tag 6

von (Kommentare: 3)

Das Meer gilt als Ursprung allen Lebens. Doch selbst, wenn Du lange auf das endlose Blau blickst, ist davon nichts zu merken. Fern ab von Land, kein Baum, kein Strauch, von Blumen ganz zu schweigen. Und selbst die ureigenen Meeresbewohner siehst du nicht so ohne weiteres. Sie sind abgetaucht und überwiegend unsichtbar.

Und plötzlich schaut ein Vogel auf dich herab. Oder er fliegt an dir vorbei. Wie aus dem Nichts taucht er auf. Die nächste Landmasse ist hunderte oder tausende Kilometer entfernt. Das passiert auf jeder Seereise und dennoch stockt mir jedes Mal kurz der Atem bei der Vorstellung, welchen Weg dieses kleine gefiederte Geschöpf hinter sich gebracht, welche Distanz es zurückgelegt hat.

Und jedes Mal bin ich aufs Neue überwältigt und tief gerührt.

Ich bin bekennender Fan jeder Form des Fliegens. Und all die technischen Errungenschaften, die den Menschen befähigen, die Schwerkraft zu überwinden, dabei sogar tonnenschweres Material und hunderte von Menschen kontrolliert vom Boden abheben und wieder landen zu lassen, ringt mir jeden Respekt ab. Dennoch beschleicht mich ein seltsames Gefühl von Minderwertigkeit, selbst wenn ich „nur“ eine Taube in der großen Stadt sehe, wie sie und ihresgleichen nonchalant Runden drehen über Straßen, Häusern und dem Autoverkehr.

Das Wissen um die Aerodynamik macht es möglich, dass wir Menschen die Bleischuhe unserer körperlichen Limitierungen abstreifen können. Wir können es den Vögeln gleichtun. Denken wir. Obwohl ein Kolibri die gleichen äußeren physikalischen Grenzen zu überwinden hat wie eine Überschallrakete, ist es doch etwas völlig anderes. Sobald sich Technik vom Boden löst und abhebt, dringt sie in den Luftraum ein und wird damit gleichsam zu einem Gewaltakt. Wir erzwingen uns den Zugang in ein Element, für das uns die Schöpfung nicht befähigt hat.

Jedes flugfähige Lebewesen hingegen verschmilzt beim Start in seinem ureigenen Element; nicht als Bezwinger der dritten Dimension, sondern als ein Teil von ihr. Millionen von Jahren der Evolution haben sie dazu befähigt, sich mit einem Urvertrauen, das in ihren Genen hinterlegt ist, dem Wind zu überlassen, mit einer Perfektion, die nicht erlernbar ist. Von dem Moment an, wenn ihr Schnabel die Eierschale durchdringt, tragen sie bereits ihr Wissen in sich. Sie können, was sie brauchen. Und was sie nicht brauchen, müssen sie nicht können. Minimalistischer Perfektionismus. Kein Vogel hinterlässt eine Spur am Himmel, die von seiner Existenz zeugen würde. Ihr Flug ist das Sinnbild für den absoluten, den perfekten Augenblick: unmöglich ihn festzuhalten; nicht wiederholbar.

 

Während Herbert Grönemeyer „Flugzeuge im Bauch“ besingt, sehe ich vor mir Flugzeuge mit Bauch: diese kleinen gefiederten Schmerbäuche, die ich zu gerne einmal streicheln würde. Wie sehr ich sie beneide, um ihren frechen Wagemut, wenn sie nur knapp über der Wasseroberfläche dahinrasen, dem nächsten Wellenberg entgegen. Bei der Geschwindigkeit würde nach einem unkontrollierten Kontakt mit dem Wasser nur wenig mehr als ein Haufen Federn und Knochen übrigbleiben. Wer als Zuschauer darauf spekuliert, verschwendet allerdings seine Zeit. Der Ozean ist ohne Chance, wenn sich die Flugkünstler leicht zur Seite neigen und mit ihren Flügelspitzen sanft die Wasseroberfläche touchieren. Wie zu einem Gruß. Oder ist es feiner Spott?

Ein Schauspiel, dass an Anmut und Ästhetik ohne Vergleich ist. Mit treibt es bei dem Anblick Tränen in die Augen. Tief in mir wird etwas berührt, zu dem weder Worte noch Gedanken Zugang finden.

Wie gerne würde ich mit ihnen ziehen. Egal wohin.

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Kommentare

Kommentar von Martina |

Oh wie wunderbar- ich hab so die Möwe Jonathab geliebt. Krieg ich auch eins von den Bildern. Wir sollten eine Ausstellung organisieren

Kommentar von Problemcousine |

Ich denke, es ist eine feine Symbiose zwischen den Künsten eines segelnden Vogels un der Dünung der Wassermassen. Was hat die Natur ( die uns nicht braucht) an Künstlern im Wind hervorgebracht : tollpatschig startende Papageientaucher, stolz segelnde Möwen, vom eigenen Nest ablenkende Feldlerchen, im Rüttelflug auf Beute wartende Sperber - jede Vogelbeobachtung , ob auf See oder an Land ist faszinierend.

Kommentar von Dieter Buhrau |

Pjotr, das hast Du super toll beschrieben und ich werde daran denken wenn wir es das nächste Mal wieder mit unserer kleinen Knattermaschine versuchen IHNEN auch nur annähernd gleich zu tun. SUPER
Habe mir allerdings erlaubt eine Kleinigkeit am Text für mich zu korrigieren ;-)
Jedes flugfähige Lebewesen hingegen verschmilzt beim Start in seinem ureigenen Element; nicht als Bezwinger der dritten Dimension, sondern als ein Teil von ihr. Die Schöpfung hat sie dazu befähigt, sich mit einem Urvertrauen, das in ihren Genen hinterlegt ist, dem Wind zu überlassen, mit einer Perfektion, die nicht erlernbar ist. Von dem Moment an, wenn ihr Schnabel die Eierschale durchdringt, tragen sie bereits ihr Wissen in sich. Sie können, was sie brauchen. Und was sie nicht brauchen, müssen sie nicht können. Minimalistischer Perfektionismus. Kein Vogel hinterlässt eine Spur am Himmel, die von seiner Existenz zeugen würde. Ihr Flug ist das Sinnbild für den absoluten, den perfekten Augenblick: unmöglich ihn festzuhalten; nicht wiederholbar.

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