Teneriffa - Ushuaia -Tag 5
von Peter Schäfer (Kommentare: 1)
Am frühen Morgen ist es dunkler als an den Tagen zuvor. Es regnet. Ein feiner warmer Regen. Der erste auf dieser Passage.
Kochmaus will wissen, ob ich das Wetter bestellt habe. Ich erkläre ihr, dass sei inklusive und ohne Aufpreis. Sie mosert rum, ich solle demnächst gefällig was buchen mit ohne Regentage. Ist ja schließlich ihr Urlaub.
Im Laufe des Tages werden wir den Äquator überqueren. Eines der wenigen, absehbaren Highlights während der Fahrt. Ganz sicher wird das zum Anlass genommen, um die Bordroutine für eine kurze Zeit zu unterbrechen. Kein Kreuzfahrt- oder Vergnügungsschiff, dass sich nicht ausgiebig dem Ritual der guten, alten Äquatortaufe widmet. Ich bin gespannt, was sich die Crew der Hanseatic dazu ausdenkt. Eine vor vielen Jahren erlebte Äquatortaufe auf der alten, ehrwürdigen Queen Elizabeth 2 glich einer aus dem Ruder laufenden Pool Party mit skurrilen Verkleidungen. Das entsprach auf der Reise allerdings beinahe der täglichen Routine der Gäste und war somit nur mittelmäßig amüsant.
Bevor es aber soweit ist, stellt sich uns zum zweiten Mal – nach den Kapverden – Land in den Weg. Oder besser gesagt, der rührende Versuch, Land vorzutäuschen. Es handelt sich um die Sankt-Peter-und-Sankt-Pauls-Felsen (Arquipélago de São Pedro e São Paulo), eine knapp 1000 Kilometer vor der Nordostküste Brasiliens gelegene, kleine Gruppe kahler Felsinseln. Von hier aus sind es noch ungefähr 100 km bis zum Äquator.
Die Felsen bieten nichts, was Leben ermöglichen würde. Um ein Schiff zu crashen, das ungebremst drauf zu brettert, reicht es aber allemal. Brasilien unterhält dort ein Leuchtfeuer und eine Hütte für militärisches Personal und Forscher.
Noch bevor wir Land sehen, werden wir von einer Luftpatroullie aus Weißbauchtölpeln, Noddis und kleinen Noddiseeschwalben empfangen. Sie inspizieren neugierig die merkwürdigen Eindringlinge. Es werden immer mehr und ich frage mich, wo waren die vorher? Nach und nach verlieren sie jede Scheu und unterziehen das Schiff einer genauen Untersuchung für eine mögliche Nutzung als Brutfelsen. Bald fühlt es sich fast ein bisschen an, wie in Hitchcocks Film „Die Vögel“. Als ich Kochmaus darauf hinweise, dass sie und ihresgleichen perfekt ins Beuteschema dieser fliegenden Botschafter passen, macht sie sich vor Angst fast in die Schürze und verschwindet in die Kabine. Sie muss „nur schnell mal was kucken.“ Endlich Ruhe vor der kleinen Nervensäge.
Kurz darauf wachsen wie Pickel aus zarter Haut ein paar Gesteinsbrocken aus der endlosen, gleichförmigen Wasseroberfläche. Wie kommen die bloß dahin? Der Geologe erklärt es. Ich verstehe es nur halb und hab auch das bald wieder vergessen. Man muss nicht alles wissen. Man darf sich auch einfach nur mal wundern. Und wundersam und schön ist diese Begegnung der skurrilen Art auf jeden Fall. Wir wollen das Gestein einmal umrunden, bevor wir die Fahrt weiter fortsetzen, um den Äquator noch pünktlich vor Dienstschluss zu erreichen.
Zuvor kommt es allerdings zu tumultartigen Szenen an Deck. Aufgeregtes Rufen, lange Arme und gestreckte Finger, die hektisch auf die Wasseroberfläche gerichtet werden, Gesichter, die hinter Kameras verschwinden.
Alles, was eine Rückenflosse hat und kein Hai ist, löst auf solchen Fahrten immer ein unfassbares Entzücken aus. Und erst recht, wenn sich das Einhorn unter den Meeresbewohnern ein Stelldichein gibt, der Delphin.
Und es sind viele Delphine. Sie kommen so nah an das Schiff heran, dass wir sie kaum noch sehen können. Garantiert stupsen sie mit ihren spitzen Schnauzen den metallenen Rumpf der Hanseatic an. Sie sind neugierig und verspielt. Natürlich lassen sie es sich nicht nehmen, uns zu zeigen, was für geniale Schwimmer sie sind. Könnte es sein, dass sie sich über uns auf dem schweren Pott kaputtlachen? Oder schauen die immer so verschmitzt?
Vögel, die beginnen das Deck zu entern, Delphine, die sich mit dem Schiff messen, und die merkwürdigen Steinhaufen hier draußen, man weiß nicht, wo man zuerst hinblicken soll. Nach Tagen der Gleichförmigkeit, ist das fast ein bisschen zu viel auf einmal.
Nach der Umrundung haben die Delphine genug von uns und nur eine kleine Eskorte verschiedener Vögel begleitet uns auch weiterhin.
Am späten Nachmittag drosselt die Hanseatic die Fahrt und kommt bald darauf zum völligen Stillstand. Ein seltsames Gefühl, so regungslos auf hoher See zu dümpeln. Von der Brücke wird verkündet, dass uns ohne Inspektion die Weiterfahrt über den Äquator verwehrt wird.
Kochmaus rätselt noch immer, wie das mit der unteren Erdhälfte funktioniert. Nach einem Modellversuch am Globus, hat sie mich gewarnt, dass es schon bald drunter und drüber geht. „Mit Dir braucht man dazu keinen Äquator“, habe ich ihr entgegnet und wusste, sie hat keine Ahnung, wovon ich rede.
Wie es sich für ein Expeditionsschiff gehört, geschieht die Äquatorüberquerung zwar nicht zu Fuß, aber im Schlauchboot, in Fachkreisen auch Zodiac genannt. Im Schatten des Mutterschiffs werden alle verfügbaren Gummiboote zu Wasser gelassen. Erst die Passagiere, später die Crew, niemand kommt an Neptun, seiner Braut und einer ziemlich verkommenen Entourage vorbei.
Ohne den Verzehr von rohem Fisch und Schnaps unter gleichzeitigen Beschimpfungen, Drohungen und Schmähungen Neptuns ist der Zutritt zum Wendekreis des Steinbocks ausgeschlossen.
Davor kann sich auch Kochmaus nicht verkriechen. Für sie und alle anderen Reisenden, die Probleme haben sich den Äquator vorzustellen, wird ein rotes Seil gespannt. Und so fährt jeder unter der Leine hindurch, über den Äquator hinweg. Von Nord nach Süd. Auf der anderen Seite wartet salzhaltiges Weihwasser, dass aus einem Feuerwehrschlauch von der Brücke aus großzügig auf die Täuflinge versprüht wird.
Mit drei Schnäpsen und einem halben Hering im Bauch, erklärt sich Kochmaus zur Zodiac-Kapitänin und steuert die Gummi-Jolle auf die andere Seite des schützenden Schiffsrumpfs. Dort herrscht ein etwas anderer Seegang. Wie immer liebt Kochmaus es wild und gefährlich. Rauf und runter, kreuz und quer - Atlantik-Rodeo wie aus dem Lehrbuch. Erst als der Hering sein Recht einfordert und Kochmaus ihn in einem dicken Schwall zurück in die Freiheit entlässt, überträgt sie das Kommando zurück an den Stellvertreter.
Ich habe alle Hände voll zu tun, die Leute zu beruhigen. Der Hering hat es leider nicht bis ins Meer geschafft, sondern nur ins Boot. Und er ist auch nicht mehr richtig als Hering zu erkennen.
„War ein guter Tag“, sage ich an diesem Abend zu Kochmaus. „Zu schade, dass Du Angsthase Dich in die Kabine verkrochen und die Delphine nicht gesehen hast.“
„Hab ich wohl“, sagt sie und schaltet am TV-Monitor die Bug-Kamera ein. „Von ganz nah. Sogar den Kochdelphin.“
„Sag mir lieber, woher die leere Tüte Salzmandeln kommt.“
„Cola kannst Du auch nochmal nachbestellen.“
Kochmaus entzieht sich der sofortigen Klärung des Sachverhalts, nachdem sie offensichtlich meine Notvorräte auffrisst, während sie Fernsehen glotzt. Sie kann sich jetzt nicht konzentrieren, weil sie morgen früh raus muss.
Sie will beim Frisör nachfragen, ob er auch tätowiert. Kochmaus braucht unbedingt ein Delphin-Tattoo. Mitten auf die Schürze drauf.
Kommentare
Kommentar von Martina |
Krieg ich zu den Känguruphotos auch ein Delfinphoto? Sind superschön
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