Tannöd
von Peter Schäfer (Kommentare: 1)
Tannöd
„Tannöd“ von der Autorin Andrea Maria Schenkel wurde 2006 ein Überraschungserfolg auf dem Krimibüchermarkt. Warum das so war, kann ich nicht beurteilen. Ich habe es nicht gelesen. Krimis sind nicht mein bevorzugtes Genre. Heimatkrimis aus der deutschen Provinz schon dreimal nicht.
2009 wurde das Buch verfilmt. Die Erfolgsgeschichte des gedruckten Buches setzte sich dabei nicht fort. Was aus meiner Erfahrung grundsätzlich eigentlich für den Film sprechen müsste. Da ich die meisten deutschen Blockbuster meistens als Zumutung empfinde, liegt meine Hoffnung diesbezüglich auf den Produktionen, die beim Mainstream durchfallen. Funktioniert leider auch nicht immer, da in den Nischen jede Menge „Kunst“ (im Film als „Arthouse“ gefeiert) lauert, der ich meine verbliebene Restlaufzeit wirklich nicht zur Verfügung stellen will. Nun gibt es Situationen und Konstellationen, da breche ich schon mal mit Gewohnheiten und Vorurteilen und stürze mich in zivilisatorische Abenteuer: ich beginne Bücher, Musik oder eben Filme zu konsumieren, denen ich ansonsten keine Chance einräume.
Dass ich den kulturellen Kurztrip von rund anderthalb Stunden im Falle Tannöd wagte, lag an zwei Faktoren, die zusammentrafen: Netflix und Deutsche Bahn.
Mit dem Netflix-Abo bucht man sich ein „All-you-can-see“-Buffet, das unter anderem dazu einlädt, in Sachen reinzuschauen, die man normalerweise nicht mal mit der Kneifzange anfassen würde, geschweige denn, irgendwelches Geld in Form von DVD-Erwerb oder Kinokarte dafür auszugeben. Also Tannöd.
Ich hatte mir den Film anlässlich einer Bahnfahrt zuvor auf den Laptop geladen, um ihn offline schauen zu können, da so etwas wie stabiles Internet in öffentlichen Verkehrsmitteln im Hightech-Land Deutschland nicht existiert. Und so kam es, dass ich mangels Internetverbindung im Intercity von Berlin nach Münster diesen Film bis zum Ende geschaut habe. Soviel sei vorab verraten: unter normalen Umständen oder mit der Chance, ein alternatives Programm wählen zu können, wäre ich nach spätesten 20 Minuten raus gewesen aus diesem Film. Allerspätestens nach 20, eher nach 10 Minuten. So aber setzte ich das Experiment am eigenen Körper fort und schaute mir das Elend bis zum Abspann an. Und das fasst auch schon die ganze Geschichte zusammen, thematisch, dramaturgisch und in der Umsetzung: Elend.
Der Erzählung liegt ein zurückliegender, unaufgeklärter Mordfall in einem abgelegenen Ort zugrunde. Das Ganze spielt in der bayrischen Provinz in den 1950er Jahren. Polizei kommt nicht vor und auch kein Ermittler, der sich eventuell in Gefahr bringt. Stattdessen eine junge Frau, die den Tod ihrer Mutter betrauert und zur Beerdigung anreist. Als Gretel ohne Hänsel landet sie im finsteren Wald, nicht bei einer Hexe, sondern in einer Ansiedlung von Hexen und Hexern. So jedenfalls inszeniert die Kamera die Szenerie. Viel Wald. Viel Nebel und das unvermeidliche Käuzchen-Geschrei, sobald es dunkel wird. Uhuu. Uhuu. Uhuunfassbar blöd das alles.
Die vorgeschobene Protagonistin (Julia Jentsch, die in ihrer Rolle sichtbar und erfolglos gegen die Langeweile anspielt), die nichts macht, der aber alles mögliche begegnet und zustößt, löst genau null Empathie beim Zuschauer aus. Übrigens ebenso wie alle anderen Figuren, die über die Leinwand taumeln. Nicht eine Figur, die einen packt, deren Schicksal den Zuschauer interessiert. Nichts, was einen in die Geschichte zieht, festhält und mitfiebern lässt. Stattdessen ein hin und her an Rückblenden und kryptisches Geschwafel aus Mündern von Figuren, deren Dasein und Funktion nichts und wieder nichts in einem auslösen.
Und die Filmbrühe wird auch nicht zur Suppe aufgemöbelt und schon gar nicht schmackhafter, als nach und nach alle möglichen Zutaten aus dem Gewürzregal gezerrt und wahllos in den Topf gerührt werden: Gewalt, Inzucht, Religion, Schnaps, Omerta, Käuzchenrufe in der Nacht …
Gern würde ich an dieser Stelle etwas über eine Handlung schreiben. Ich konnte nur keine erkennen. Denn eine Horde zusammengewürfelter Leute, in eine speckige Kulisse gestellt, die permanent im Kreis labern, ersetzt nun mal keine Handlung. Da ist jedes Big-Brother-Format im werbefinanzierten Fernsehen aufregender und mitreissender, als dieses aufgepumpte Kammerspiel, das hofft, etwas besonderes zu sein, nur weil es fürs Kino hergestellt wurde.
Wie gesagt, soll an dieser Stelle nichts über die Buchvorlage gesagt sein. Die ist mir unbekannt. Aber deutlich wird bei Tannöd, dass manche Geschichten als Buch funktionieren können, aber deswegen noch lange nicht als Film. Trotzdem wird immer wieder versucht, aus erfolgreichen Büchern auch über eine filmische Auswertung noch Kapital zu schlagen. Und angesichts des bundesdeutschen Fördersystems für Filmproduktionen springt da für pfiffige Produzenten auch ordentlich was bei heraus. Egal ob der Film im Kino absäuft. Wer braucht schon Zuschauer, wenn das Produkt vorab finanziert wurde?
Ich hätte es wissen können. Liest man den Filmtitel von hinten, ist nämlich alles gesagt: Öd(im)Tann.
„Tannöd". Erscheinungsjahr 2009. 97 Minuten.
2 Punkte auf Peters RuG-Skala
1 = katastrophal
2 = schlecht
3 = geht so
4 = okay
5 = gut
6 = sehr gut
7 = sensationell
Kommentare
Kommentar von Martina |
Lieber Peter, das Buch ist wirklich sehr sehr gut - allerdings lesen ich auch gerne Krimis
. Dazu ein Tip: ich lese gerade Der zweite Tod von Daniel Scholten, großartig, wunderbare Sprache, sehr interessante Charaktere, lohnt sich wirklich.
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