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Stein im Brett

von (Kommentare: 2)

Auweia Rock

Da liegt er nun. Wie ein in den roten Sand geworfener Laib Brot. So unaufgeregt. Und trotzdem irgendwie spektakulär. Nicht ohne Grund gehört der Ayers Rock (Uluru - in der Sprache der Aborigines) zu den bekanntesten Ikonen und meist besuchten Orten unseres Planeten. Was aber macht die Faszination an einem Stein aus, der gerade mal 3 km lang, 2 km breit und 350 Meter hoch ist? Selbst in Deutschland haben wir höhere Gipfel und mächtigere Berge.

Was treibt Leute hier raus in diese Einöde? Verglichen mit dem Kakadu Nationalpark ist hier nämlich echt nichts los. Vermutlich gibt es darauf keine allgemein gültige Antwort. Ich habe drei Tage gebraucht, um meine eigene zu finden. Etwas technisch ausgedrückt lautet sie so: maximale Wirkung bei minimalem Aufwand. Sand. Stein. Licht. Mehr ist es nicht. Dieses Terzett reicht aus, um eine Variationsbreite zu erzielen, für die anderswo ein Sinfonieorchester erforderlich wäre. Jahreszeit, Tageszeit und Standort des Betrachters führen dabei zu unendlichen Möglichkeiten an Impressionen. Ist es diese Schlichtheit, mit der uns an diesem Ort etwas sehr Komplexes begegnet? Ist hierin der Mythos begründet? Etwas anbetungswürdiges?

Es ist wirklich schön, einen Eindruck von der „Sensation“ Uluru zu bekommen. Doch die kurz Zeit und der lediglich begrenzte Blick auf dieses Naturereignis reichen nicht aus, um in mir mystische oder spirituelle Gefühle auszulösen. Dennoch bleibt eine Ahnung, wie dieses steinerne Herz diejenigen beseelen kann, die seit ewigen Generationen hier zu Hause sind. Und man bekommt selbst nach einem Tagesbesuch eine Idee davon, wie hier jedes religiöse Gefühl der Ureinwohner durch die täglichen Besuchermassen geschändet wird.

Seit mehr als hundert Jahren hat nämlich eine andere Religion begonnen, ihre Pilgerzüge gen Uluru zu steuern: der Tourismus. Und der betet nicht nur an, sondern läutet mit seiner Verehrung gleichsam auch das Totenglöckchen; wie an vielen anderen Orten auch, wo Kultur- oder Naturschönheiten einen gewissen Bekanntheitsgrad überschritten haben.

Tourismus als Industrie und all seine Protagonisten scheren sich einen Scheiß um das, was anderen wert und heilig ist. Nach jahrelangem, zähen Ringen ist es den Aborigines erst Ende Oktober 2019 gelungen, das Besteigen ihres Heiligtums zu unterbinden. Hat sich bis dahin irgendwer mal überlegt, was los wäre, wenn tagtäglich Seilschaften von Besuchern den Petersdom in Rom, die Kaaba in Mekka oder eine der großen Buddha-Statuen in Asien besteigen würden, aus dem einzigen Grund, um einmal „da oben drauf“ zu stehen und ein Selfie von sich zu machen?

 

Mea culpa! Mea maxima culpa est!

Auch wenn uns an diesem Ort nichts dazu gebracht hätte, den roten Riesen zu erklimmen, sind auch wir Teil der großen mobilen Belustigungsmaschinerie. Einer Bewegung, die sich längst bis in die letzten Winkel dieser Welt gezwängt hat und jedem verbliebenen Geheimnis mit dem Tode droht.

Auch wir folgen dem unbestimmten Drang, unser Leben mit Erlebnissen, Bildern und Erinnerungen anzureichern und reihen uns ein in den langen Treck der Reisenden. Auch wir machen die unvermeidlichen Selfies. Und neuerdings posaunen wir ebenfalls unsere Erlebnisse und Bilder über digitale Kanäle in die Welt hinaus.

Das kann somit nicht der Kern einer Kritik sein. Das eigene Unwohlsein rührt vielmehr aus dem Erleben, Teil eines Dammbruchs zu sein, der sich gar nicht mehr stoppen lässt und in dem man mit geschwemmt wird, ob man will oder nicht. Zu kritisieren und beklagen ist nicht der Wunsch unzähliger Menschen, hinaus in die Welt zu streben. Zu beklagen ist, dass dies inzwischen mit einem Mass an Rücksichtslosigkeit geschieht, dass kein Selbst- und Fremdschämen mehr dagegen ankommt. Und hier können wir das einmal mehr beispielhaft erfahren. Ein Sonnenaufgang ist für sich schon ein erhabenes Ereignis. Ihn mit dem Uluru als Hintergrund zu erleben, könnte ein ganz besonders emotionales Ereignis sein, dass einem vielleicht sogar die Sprache verschlägt.

Könnte. Ist es aber nicht.

In der Sixtinische Kapelle im Vatikan mahnt ein Mentor im strengen Ton zu Ruhe. Im 60 Sekunden Takt ertönt sein „Silentium“ per Mikrofon und Lautsprecher über die dicht gedrängten Besucher. Das befremdet und wirkt unangemessenen deplatziert. Doch würde die mahnende Aufforderung nicht erfolgen, würde das Grundgeraune der Menschenmassen in kürzester Zeit zu einem infernalen Getöse anschwellen und das allerletzte bisschen Anmut in diesem Gebäude zum Teufel gehen.

Daran müssen wir denken, als wir vergeblich versuchen, dem Sonnenaufgang am Ayers Rock ein paar meditative Momente zu entlocken. Stattdessen wird um uns herum ununterbrochen gelabert, geschnattert, diskutiert, belehrt, telefoniert, gelacht, gebrüllt, gekrischen, gerülpst, gefurzt und gerotzt. Es kostet einiges an Selbstbeherrschung, keine Gewaltphantasien in sich aufkommen zu lassen. Eigentlich sollte jetzt das große Känguru oder die Regenbogenschlange vom Himmel fallen und alle 30 Sekunden lang freundlich aber mit Nachdruck wie der Zuchtmeister im Vatikan um Ruhe bitten: „Shut the fuck up, you fricking morans. Or piss off!“

Aber es fällt nichts vom Himmel - und so geht es zu wie auf dem Jahrmarkt, bis der Zauber der aufgehenden Sonne für diesen Tag verblasst ist und die menschliche Lava zurück in ihre Busse strömt, um beim anschliessenden Frühstücksbuffet bloss nicht zu weit hinten in der Schlange zu stehen.

 

Ernüchtert wanken wir zum Auto zurück. Die Gemahlin kriegt kullerrunde Augen, als sie sieht, wie sich einer der Besucher einen Joint ansteckt. Der Familienvorstand wundert sich inzwischen über gar nichts mehr, fremdelt aber dennoch etwas. Nichts gegen eine gute Tüte Gras. Echt nicht. Aber um halb sieben am morgen? Ehrlich jetzt?

Und als wäre das nicht genug, nutzt Kochmaus diesen Moment der emotionalen Verletzbarkeit ihres Arbeitgebers schamlos aus und setzt ihre kleinen Mäusemauken - trotz Verbot - auf den heiligen Berg.

 

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Kommentare

Kommentar von Bruno |

Hat Kochmaus ein Didgeridoo auf dem Rücken ? Wenn es so ist muß es ja cool sein wenn sie Euch am Abend einen pustet (Blasen habe ich schnell gestrichen)

Kommentar von Problemcousine |

Es hat leider alles seinen Preis ( und der wird immer erschwinglicher) - aber den Wert einer Besonderheit unseres Planeten, sei es die Natur (z.B. Uluru) oder von Menschen geschaffene Kunstwerke (Michelangelos Pieta) werden immer mehr als das Normale, das Abzuhakende im Lebenslauf oder schlimmstenfalls als Banalität gesehen. Da sind die " alten weißen Männer", glaube ich , doch noch ehrfürchtiger, weil eine gewisse Erziehung, ob West oder Ost, Respekt vor Natur und Kunst gelehrt hat. Wir haben dieses Jahr in St. Petersburg erlebt, wie ein chinesischer Tourist aus dem Petershof verwiesen wurde, weil er über den Rasen gelatscht ist.
Lasst Euch durch solche Erlebnisse nicht den Gesamteindruck vermiesen. Bilder wie immer sehr ausdrucksstark. Viele Grüße aus dem ungemütlichen Mecklenburg.

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