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Smoke on the Water

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Nebel des Grauens

Um fünf Uhr früh werden wir wach. Es riecht nach Rauch. Brandgeruch. Er dringt von aussen in unser Appartement. Ohne aus dem Fenster zu sehen, kennen wir die Ursache. Sie begleitet uns, seitdem wir Deutschland verlassen haben, durch die Nachrichten und über die besorgten Nachfragen unserer Familien und Freunde.

Die Waldbrände rund um die Millionenstadt haben es in diesem Jahr in die Nachrichten der ganzen Welt geschafft. Was sich hier seit etlichen Wochen abspielt, zwingt den Australiern einen neuen Superlativ auf: Mega-Feuer.

Durch langanhaltende Trockenheit, extreme Temperaturen und Wind sind einzelne Waldbrände zu einem infernalischen Perpetuum Mobile mutiert. Wie eine lebendige, unfassbare Kreatur sucht es sich Brennstoff in jede beliebige Richtung. Mit menschlichen Mitteln ist das inzwischen nicht mehr zu stoppen. Allein Regen könnte dieser Naturkatastrophe wirksam Einhalt gebieten. Doch damit ist bis auf weiteres nicht zu rechnen.

Abhängig von Windrichtung und -stärke leidet Sydney vor allem unter dem Rauch, den die nicht mehr weit entfernten Feuer gen Himmel senden. Die Luftqualität erreicht immer neue Negativrekorde.

Wir ändern unser Tagesprogramm. Statt einem Spaziergang durch den Botanischen Garten ziehen wir eine Führung in der klimatisierten Oper vor. Nur nicht zu lange im Freien aufhalten. Die Fähre, die uns durch den Nebel in die Stadt bringt, ist vorläufig die letzte. Der Betrieb wird eingestellt, man sieht kaum die Hand vor Augen. Ein Novum auch für die Bevölkerung von Sydney. So schlimm wie heute war es noch nie.

Dicke Luft. Überall. In Wohnungen schlagen Rauchmelder Alarm. Menschen kommen wegen Übelkeit ins Krankenhaus.

Wir haben keine Ahnung, wie wir uns verhalten sollen, wollen uns aber auch nicht wegschließen. Und so machen wir, was alle anderen auch machen, die hier leben, arbeiten und nicht - so wie wir - in zwei Tagen weiterreisen.

Jeder tut so, als wäre nichts, wenn man davon absieht, dass nun sehr viele Menschen so aussehen, als wollten sie die nächste Bank überfallen. Allerdings schützen Gesichtsmasken und Mundschutz aus Papier in gar keine Weise vor den toxischen Bestandteilen, die der Smog in jede hier atmende Lunge befördert.

Es ist faszinierend, irritierend und beängstigend zugleich, zu sehen, wie das Gewusel der Großstadt zwar beeinträchtigt wird, im Grunde vieles aber so weiter läuft, als würde es regnen oder die Sonne scheinen.

Ganz so, als ob man einen großen Stein in einen Ameisenhaufen wirft: die Zerstörung wird zunächst für Aufregung und Verwirrung in der großen Kolonie sorgen, doch dann geht das Gewusel weiter und die Tiere tun, was ihnen ihr genetischer Code befiehlt.

Irgendwann kommt uns in dem gespenstischen Szenario die Titanic in den Sinn. Da spielte das Bordorchester angeblich auch bis zum Schluss und andere tanzten bestimmt noch dazu. Was sonst hätten sie auch tun können?

Es ist der 10. Dezember 2019 in Sydney, Australien.

Am Nachmittag wird die Sicht besser, der toxische Nebel lichtet sich. Abends fahren die Fähren wieder. Am nächsten Tag ist der Himmel bewölkt, mit blauen Löchern. Die Luft ist fast klar. War was?

 

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