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Seetage – die schönste Erfindung, seit es Erholung gibt

von (Kommentare: 2)

„Was zur Hölle macht Ihr denn da die ganze Zeit?“ – diese Frage höre ich immer wieder, wenn ich von den Strecken schwärme, die wir per Schiff zurückgelegt haben. New York – Hamburg. Kapstadt – Buenos Aires. Teneriffa – Panama. ABER DA IST JA NICHTS DAZWISCHEN AUSSER WASSER!!! Richtig! Man nennt es Seetage. Und ich kann nicht genug davon kriegen....

Bei keiner anderen Art zu reisen ist der Satz „Der Weg ist das Ziel“ so wahr und so treffend wie bei den Seetagen auf einem Schiff. Von mir aus könnte eine Kreuzfahrt nur aus Seetagen bestehen. Die Faszination ist so einfach wie schwer zu beschreiben. Man liebt es – oder man kann nichts damit anfangen. Wie viele Arten von Erholung sind auch die Tage auf dem Meer etwas ganz Spezielles. Dem muss man gewachsen sein.

Ich habe Freundinnen, die packen zwei Kleidchen und einen Campingkocher in den Fahrradgepäckträger oder fliegen mit dem Zelt im Handgepäck (!) auf steinige Inseln, andere reisen mit dem Rucksack in fremde Länder, besteigen Kletterfelsen oder übernachten in Strandhütten unter Moskitonetzen. Ich habe durchaus auch andere Kreuzfahrt-Liebhaber unter meinen Freunden, Bekannten und Kollegen. Sie berichten von wunderbaren fremden Orten und schönen Zielen, die sie per Schiff kennengelernt haben. Ausnahmslos alle jedoch haben zwei große Fragezeichen in den Augen, wenn wir unsere Lieblingsstrecken austauschen. „Dann hatten wir zwei Seetage...“, sagte mein Kollege und zuckte die Schulter. „Das war schon bisschen viel...“

Seetage – ich fasse es mal so zusammen – ist für mich das Paradies schlechthin. Schon auf dem kleinen Schiffchen, auf dem wir so gern reisen, braucht es eigentlich nichts weiter als ringsum blaues Wasser und ein leises Schaukeln.

Ich erinnere mich an meine erste Kreuzfahrt, zu der der Graue mich überredet hatte. Von der Dachterrasse eines Hochhauses in New York schauten wir auf den Kreuzfahrtterminal hinunter, und der Graue flippte fast aus vor Begeisterung, weil er unten das Schiff sehen konnte. Das schaukelte geradezu schüchtern auf den Wellen zwischen zwei hochhausgroßen Riesendampfern und sah aus wie deren ganz kleine Schwester. Nur in SCHÖN. Es war ein Moment, der sich einprägt: Zum ersten Mal den Fuß auf das Schiff setzen. Liebe auf den ersten Schritt sozusagen.

Ich erinnere mich an die Magie, an all den glitzernden Lichtern vorbei aufs Meer zu gleiten, fast geräuschlos, nur das leise Vibrieren unter den Füßen. Als die Freiheitsstatue und das leuchtende Manhattan langsam am Horizont verschwanden, war mir schon komisch zumute. Jetzt nichts als Wasser ringsum, bis Hamburg? Der Graue wusste es, bevor ich es selbst wusste: Das war genau mein Ding.

Es gab nur ein Problem: Irgendwann sind wir da. Fahr langsamer, wollte ich damals dazwischenrufen, wenn der Käpt’n mittags Punkt zwölf die nautischen Eckdaten bekanntgab. Ich habe keine Ahnung, wie schnell 17 Knoten sind, aber es klang schon fast nach Raserei. Fahr langsamer! Es ist so schön hier draußen. Irgendwann war Bergfest, irgendwann war die Strecke, die wir hinter uns hatten, länger als die vor uns liegende.

Was aber macht man also nun an all den langen Tagen dazwischen, Seetage genannt? Die Antwort ist so einfach wie schwer: Nichts besonderes.

Im Dunkeln höre ich den Grauen in der Kabine, die hier Suite heißt, leise herumgeistern. Es ist vier Uhr morgens. Der Fotograf hat ausgeschlafen und schleicht sich mit dem Fotokram davon, Sonnenaufgänge festhalten. Ich drehe das Gesicht zur Balkontür, die offen steht. Das Schiff hebt und senkt sich, das Wasser ist zu hören. Der Graue zieht die Kabinentür zu, ich schlafe wieder ein.

Zwei Stunden später ist es hell, wenn ich den Kopf vom Kissen hebe, sehe ich nur BLAU. Unten Wasser, oben Himmel. Die Gardine weht im Wind. Es ist herrlich, so aufzuwachen.
Ich finde den Grauen an unserem Stammplatz auf dem Lido-Deck, er klappt den Laptop zusammen, wir frühstücken lange und ausgedehnt. Wir schicken ein kleines Stoßgebet gen Himmel und grüßen unsere Freundin Karin, es ist meine erste Reise ohne sie. Beim Frühstück fehlt sie uns besonders.

Die Schaumkronen der Wellen glitzern. Ich studiere das Tagesprogramm, das immer auserlesen ist. Solch schwere Entscheidungen zu fällen ist eigentlich um diese frühe Zeit noch nicht möglich, aber unerlässlich. Ich gehe gern zu Vorträgen, der Graue zieht sich mit dem Laptop zurück und sieht seine tausenden Fotos von Sonnenaufgängen oder erfindet Geschichten, die vielleicht einmal Filme werden können. Ich kann stundenlang auf einer Liege am Pooldeck zubringen und aufs Meer schauen, durch das wir gleiten, das Buch, in dem ich lesen wollte, zuschlagen auf dem Bauch. Was braucht es mehr. Mittags essen wir einen Salat am Lido-Tisch, die Sonne scheint, das Schiff vibriert, als atme es ganz leise, und zieht einen weißen Schleier hinter sich her.

„Wirst Du fertig mit so viel Erholung?“, sagt der Graue zu mir. Kochmaus fragt, wann es Waffeln gibt.

Ich spaziere durchs Schiff, irgendwo spielt jemand leise Klavier. Der Horizont eine gerade Linie, kaum wahrzunehmen in all dem Blau.

Am Abend essen wir auf dem Lido, an wenigen Tagen ziehe ich das kleine Schwarze und die roten Schuhe an und wir gehen ins Restaurant. „Die schönste Frau auf dem Schiff ist meine...“, sagt der Graue, wenn ich mein Kopftuch gegen eine Haarspange aus Glitzer tausche. Kochmaus verdreht die Augen.

Am späten Abend die letzte Handlung des Tages: Wir ziehen die Gardine zurück und öffnen die Balkontür weit. Vom Bett aus hören wir das Tosen oder das Flüstern der Wellen. Das Schiffchen schiebt sich durch die Nacht. Das sanfte Heben und Senken begleitet mich in den Schlaf.

„Welcher Tag ist eigentlich heute“, frage ich den Grauen. Der blinzelt und zuckt die Schultern. „2021?“ „Welcher Wochentag?“ Er lacht. „Wen interessiert´s?“

Uns jedenfalls nicht.

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Kommentare

Kommentar von Die Kleene |

Da ist ja nichts.... das trifft es!!! Genau das suche ich ebenso, wenn auch auf eine andere Art. Auch wenn ich keine Kreuzfahrerin bin, so kann ich jetzt deine Faszination für Seetage und Meeresrauschen voll verstehen. Danke für deine super schöne Hommage an die Kreuzfahrt. Einfach wunderbar.

Eine Frage habe ich aber noch. Wenn du so wenig brauchst zum Glücklichsein, warum dann so viele Koffer ;-) :-)

Kommentar von Die Rote |

Wer spricht denn hier von SO VIELEN KOFFERN? Ich hatte doch nur EINEN! Mit dem notwendigsten Seefrollein-Equipment!

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