Schreibt mehr Liebesbriefe!
von Simone Keil (Kommentare: 1)
Ein Sonntag im April. Die Sonne scheint, es ist warm. Wir schlendern über den Flohmarkt. Und dann finde ich in einer Kiste voller Krempel einen kleinen Schatz, der mich mitten ins Herz trifft.
Die Kisten sind voll bis obenhin mit allem, was man sich nur vorstellen kann. Hier wurde ein Haushalt in seiner Gesamtheit in aller Schnelle und ungeordnet in die Kartons geworfen, vermutlich von einem Entsorger-Team. Ein ganzes Leben landete so auf dem Flohmarkt. Bücher, Tassen, Vasen, Lampen, Besteck, Backformen, alte Bücher, seltsame Nippes.
Etwas Buntes in einer Ecke erregt meine Aufmerksamkeit. Ich greife in die Kiste und ziehe eine Handvoll Briefumschläge heraus. Die Umschläge sind alle beschriftet. „Für Rosi“ oder „Für meine Rosi“ steht auf jedem, handschriftlich. Sie sind alle nicht zugeklebt - und neugierig ziehe ich das erste Schriftstück heraus: Eine Geburtstagskarte mit einer roten Rose auf dem Deckblatt. Für Rosi. Von ihrem Siggi. Geschrieben 2004, zum 50. Geburtstag. Die Innenseiten sind eng beschrieben, von „Dein Ehemann Siegfried“.
Der Graue winkt mir aus der Ferne zu, er geht weiter.
Ich versinke in der Liebesgeschichte von Rosi und Siggi. Ich öffne Umschlag um Umschlag und ziehe die Karten heraus. Immer die gleiche Schrift. Für meine Rosi, fast jedes Jahr.
„50 ist ja bloß eine Zahl, für mich bist Du noch so jung wie an unserem ersten Tag. Ich danke Dir, daß Du fast die Hälfte Deiner nunmehr 50 Lebensjahre mit mir verbracht hast. Sicher werden wir noch schöne Jahre haben, denn unsere Liebe kann nichts, aber auch garnichts, erschüttern.“
Ein Jahr später, 2005, schreibt Siegfried: „Wir sind gemeinsam etwas älter geworden, und werden es bestimmt, sehr glücklich und verliebt, noch viele, viele Jahre.“ In diesem Jahr schenkt Siegfried seiner Rosi „Als Geschenk 10 Trainerstunden Tennis.“
Ich muss lachen. 10 Trainerstunden Tennis? Ob Rosi sich gefreut hat? Ob sie die Trainerstunden je eingelöst hat?
Im Dezember 2007 bekommt Rosi eine Geburtstagskarte mit CD geschenkt, mit großen Hits aus dem Jahr ihrer Geburt 1954. „Zu Deinem Ehrentag tausend Küsse… für die beste und liebste Frau, die in diesem Jahr geboren wurde – und zwar meine Rosi.“ Dazu Peter Alexander „Oh, Mister Swoboda“ und Eddie Constantine „Schenk deiner Frau doch hin und wieder rote Rosen“. Und Mona, die „Es liegt was in der Luft“ trällert.
2008 fängt Siegfried an zu dichten: „Ob Regen oder Sonnenschein, Du wirst immer meine große Liebe sein!“, schreibt er mit schwungvollen Buchstaben und blauer Tinte. „Tausend Küsse, Dein Siegfried“.
2009 wird Rosi 55. Ihre Geburtstagskarte zieren rosa Herzen, und ihr Mann schreibt ihr: „Keiner liebt Dich so wie ich. 27 Jahre haben uns schon Glück gebracht. Und noch viele Jahre soll es so bleiben.“
2010 steht ein Spruch auf der Vorderseite der Karte. Neben dem Bild eines glitzernden Edelsteins ist zu lesen „Das Leben schleift uns wie einen Diamanten, der immer größere Schönheit erreicht.“
Während ich versunken mitten in der Sonne stehe, kommt der Besitzer der Nachlass-Kisten auf mich zugeschlendert. Ich brauche ihn nicht lange bitten, mir die Handvoll Umschläge zu schenken. Ob irgendwo ein Geldschein drin ist, hat er sicher ausgeschlossen. Er überlässt sie mir. „Eine traurige Geschichte“, sagt er. Mehr weiß er nicht. Ein Ehepaar, das ein paar Straßen von hier gewohnt hat, beide gleichzeitig gestorben, keine Hinterbliebenen, bestätigt er noch. Die Geschichten der Menschen, deren Hinterlassenschaften er entsorgt, lässt er sich nie erzählen und möchte diese auch nicht wissen. Sonst könnte er seinen Job nicht machen, sagt er. Verstehe ich, und freue mich, dass er mir die kleine Liebesgeschichte von Rosi und Siggi einfach so mitgibt.
Zuhause ordne ich die Umschläge der Reihe nach und lese weiter.
In der Diamantenkarte von 2010 hat Siggi geschrieben: „Du bist für mich der größte und schönste Diamant, und unschätzbar, unbezahlbar, sogar noch besser. Du leuchtest jeden Tag und jede Nacht in meinem Herzen.“
2011 gratuliert Siegfried seiner Frau zum 29. Mal, damit „… wir noch viele, viele Jahre unsere Ehe in liebevoller Harmonie genießen können.“
Als ich die Karte 2013 öffne, fangen drei Katzen laut an, „Happy Birthday“ zu jaulen, in ihrer Miau-Sprache. Der Graue schreckt von seinem Schreibtisch hoch. „Alles okay?!“, ruft er aus dem Arbeitszimmer. Ich lese ihm die Karte von Siegfried vor, die immerhin geschrieben wurde, als der Graue und ich uns gerade kennengelernt hatten, während Rosi und Siggi schon 32 Rosi-Geburtstage zusammen verbracht hatten.
2014 wurde Rosi 60. Die Zahl ist in goldenen Buchstaben auf den Umschlag geklebt. Was werden sie gemacht haben an diesem besonderen Geburtstag? „Liebe Rosi, vor 60 Jahren war ein traumhafter Tag, als der wunderbarste Mensch geboren wurde, dem ich zum Glück begegnet bin…. So fit wie Du bist, mit Deinen jetzt 60 Jahren, wollen wir nochmal gemeinsam durchstarten und das Leben jeden Tag genießen.“
2019 schreibt Siggi auf den Umschlag „Für Roswitha zum Geburtstag“. Klingt komisch. Zum ersten Mal schreibt er ihren Namen aus. „Liebe Rosi, also dann willkommen im Rentner- und Seniorenclub. Der 65. Geburtstag ist doch ein guter Anlaß, sorgenfrei mit ausreichender Rente und hoffentlich noch langer Gesundheit und Fitness den „letzten Abschnitt“ zu genießen…. Ich küsse Dich in Dankbarkeit … und freue mich, ein Teil von Dir zu sein, daß das starke Ganze ergibt. Dein Siggi“
Zum 66. Geburtstag 2020 im Dezember gratuliert Siggi wieder mit einem Vers:
„…. Bleibst Du lieb und fein – und sollst ewig meine Sonne sein“. Ich denke an die Zeit im Dezember 2020, als kurz vor Weihnachten wieder ein Lockdown das gesamte Leben stilllegte. Wie wird es den beiden ergangen sein? „Unsere Liebe ist stark und in unruhigen Zeiten wie diesen wird sie noch stärker. All Deine Wünsche sollen in Erfüllung gehen, das verspreche ich Dir, in Liebe, Dein Siggi.“
Ich nehme zögerlich den letzten Umschlag. Er ist von Dezember 2021, beschriftet mit „Für Rosi“. Rosi wurde 67 in diesem Jahr. Auf dem Deckblatt der Karte ist aufgedruckt: „Möge das Blatt für Dich nie wenden, halt stets das Glück in Deinen Händen“.
Siegfried schreibt „Es ist ein besonderer Glückstag, denn die Quersumme von 67 ergibt unsere Lieblingszahl 13.“
„Wo sind die vielen schönen Jahre geblieben? Ich würde sie nochmal mit Dir gehen und mehr genießen. Die Zeit, die bleibt, wissen wir nicht. Aber wir wissen, jeder Tag, den wir gemeinsam verbringen, wird unsere Liebe noch mehr stärken. Ich küsse und umarmen Dich. Dein Siggi“
Ich lasse die letzte Karte sinken und schaue auf die bunten Umschläge auf meinem Tisch. Ein unerwartetes Geschenk von zwei mir vollkommen unbekannten Menschen. Das kann doch kein Zufall sein, dass ausgerechnet ich diese Karten finde, in den vielen Kisten? Nachdenklich schaue ich aus dem Fenster auf die sonnige Straße.
Was für eine schöne kleine Geschichte, über die ich noch lange nachdenke. Ich lasse die Umschläge auf dem Tisch liegen, damit sie mich noch ein paar Tage begleiten. Rosi und Siggi. Wie sie wohl ausgesehen haben?
Ich hole meine kleine Kiste aus dem Regal, in der ich alle Briefe, Zettel und Karten aufbewahre, die der Graue mir im Laufe der Zeit geschrieben hat, seit wir uns kennen. Kleine Neckereien, Notizen, freche Kritzeleien und poetische Briefchen mit witzigen Zeichnungen.
Ich öffne den Deckel, und nehme den Zettel in die Hand, der ganz obenauf liegt. „Meine geliebte Frau, egal wieviele Kilometer uns trennen, ich bin Dir immer ganz nah. Dein geliebter Ehemann. P.S. Im Kühlschrank befindet sich ein Liebespudding!“
Bevor ich weiter in meine Sammlung einsteige, gehe ich ins Arbeitszimmer und küsse den Grauen mitten in sein unrasiertes Gesicht. „Ich Dich auch“ sagt er. Und lacht.
Kommentare
Kommentar von Die Kleene |
Was für eine schöne Geschichte, so romantisch. Danke fürs Teilen. Diese Briefe haben mich ebenfalls sehr berührt. Man macht sich seine Gedanken, was sie so für ein Leben hatten und was zum Ende passiert sein könnte.
Ich muss zu Hause auch mal wieder all die Geburtstagskarten von meinem Schatz vorholen. Wer weiß, wo diese später mal landen.
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