Schlaflos am Nordkap
von Peter Schäfer (Kommentare: 1)
Jetzt immer weiter geradeaus und wir sind am Nordpol. Wir haben es geschafft, sind am nördlichsten Punkt unseres Ausfluges angelangt. Vom Felsen des Nordkaps blicken wir hinaus auf den Horizont. Vor sieben Monaten stand ich mit Mike auf der anderen Seite des Polarmeers und schaute von Prudhoe Bay in Alaska übers Wasser. Ohne die Erdkrümmung, bei klarer Sicht und mit großem Fernglas könnte man das andere Ufer sehen.

Für mich ist es der dritte Besuch am nördlichsten Metallglobus der Welt. Zum ersten Mal vor 20 Jahren, gemeinsam mit meinem Vater und den Hurtigruten. Das war im tiefsten Winter und hier oben war es zur Mittagszeit fast so dunkel wie im legendären Eisbärenarsch. Nur die künstliche Beleuchtung der Weltkugel und des Informationszentrums spendeten Licht. Es war ein magisches und unvergessliches Erlebnis.
Von unserer Unterkunft sind es 20 Minuten mit dem Auto bis zum Kap. Auf dem Weg dorthin überholen wir einen Radfahrer. Ich frage mich, wo der hinwill, es ist Nachmittag und am Nordkap gibt es kein Hotel oder sonstige Übernachtungsmöglichkeiten.
Trotz der frühen Jahreszeit ist schwer was los hier oben. Auf dem Parkplatz sieht es aus wie bei einer Messe für Wohnmobile.
Nach zwei vergeblichen Anläufen in den letzten 30 Jahren, diesen Ort zu erreichen, gelingt es Martin nun endlich auch, sich für ein Erinnerungsfoto zu positionieren. Es ist mehr als verdient. Jetzt können wir entspannt darauf warten, was die – sogenannte - Nacht hier oben bringen wird.
Die Wettervorhersage ist gut. Die Mitternachtssonne, die ich im Vorjahr hier vom Schiff aus zu sehen versuchte, zog seinerzeit ihr Ding ungesehen hinter einer dicken Wolkenwand ab.
Für heute verspricht die Wetter-App jedenfalls klare Sicht. Und tatsächlich erleben wir mit und werden Zeuge von etwas, das schwer in Worte zu fassen ist. Ebenso ist jeder Versuch zum Scheitern verurteilt, das Spektakel mit technischen Mitteln festzuhalten. Naturereignisse genießt man eben am besten live und aus der ersten Reihe. Wenn das Gemurmel und gedämpfte Geplapper der Leute um uns herum nicht wären, wäre es perfekt. Eine Gruppe besonders Feierlustiger zählt runter von zehn auf null. Mitternacht! Metallbecher mit Grog oder Tee klackern aneinander. Wir begrüßen gemeinsam den neuen Tag.
Die Sonne juckt all das nicht. Sie liegt voll und prall auf der Wasserlinie. Eine weitere Stunde halten wir es aus und sehen, wie sich die goldene Kugel in Superzeitlupe auf die nächste 24-Stunden-Runde macht.
Wir erleben eine fast mystische Atmosphäre. Mitten in tiefster Nacht empfinden wir kein bisschen Müdigkeit. Eine seltsame Wachheit trägt uns, ohne jede Unruhe oder Erschöpfung. Die reine Vernunft bringt uns dazu, den Ort zu verlassen. In ein paar Stunden brechen wir nämlich wieder auf zu unserer letzten Etappe in Norwegen. Da sind ein paar Stunden Schlaf schon sinnvoll.
Jetzt sehen wir auch, wo der Radfahrer nächtigt. Auf kargem Boden stehen einige Zelte, davor Räder. Nach der Tour, die diese Leute hinter sich haben, schlafen sie auf Granit wahrscheinlich ebenso selig wie auf einer Federkernmatratze.
Als wir unsere Unterkunft erreichen, ziehen Wolken einen Vorhang vor die Sonne. Wir machen dasselbe mit unseren Fensterschattierungen. Draussen ist es nach wie vor taghell.
Kommentare
Kommentar von Die Kleene |
Magisch! Wunderschön!
Grandios!
Einen Kommentar schreiben