Sand in den Schuhen von Hawaii
von Simone Keil (Kommentare: 1)
Rückkehrtag plus 3 in Berlin. Es ist grau und regnet draußen. Ich habe die Koffer ausgepackt, die ersten Waschmaschinen gestartet, die Mitbringsel alle auf den Tisch sortiert. Die Wohnung ist warm, die ersten Nächte im eigenen Bett waren herrlich, der vom Frühstücksdirektor gekochte Kaffee (frisch gemahlen und mit der Espresso-Maschine gemacht, mit heißer Milch aufgefüllt) schmeckte so gut wie nie in den letzten 12 Wochen. Ein kleiner Trost, wenn es nachmittags um vier stockdunkel ist. Willkommen in Berlin.
Aus den Sommerschuhen rieselt Sand auf den Boden. Ich hab noch Sand in den Schuhen von Hawaii. Ich schaute ratlos auf die Treter in meinen Händen und bin kurz davor, eine Depression zu bekommen. Da hilft nur Powerputzen, das hat mir noch immer bei der Stressbekämpfung geholfen. Während ich mit dem Staubsauger den Staub von drei Monaten wegsauge, denke ich daran, wie ich bei meiner damaligen Chefin am Tisch saß und meine Idee für einen 12-Wochen-Urlaub vortrug. Das war im Frühling 2018. Und ich dachte, das ist noch sooooo lange hin, und wer weiß, was noch dazwischen kommt, und wer weiß, ob das klappt … Und so weiter… Und so fort…
Wem immer ich von unserem Reiseplan erzählte, überall nur Zustimmung und Begeisterung und ehrliche Freude. Lange konnte ich das selber gar nicht glauben, bis der Reiseleiter anfing, die ersten Flüge zu buchen. Für Australien kam eine Planänderung: Der Zug, mit dem wir den Kontinent durchqueren wollten, war bereits 1 Jahr im Voraus ausgebucht. Wir waren platt! An der Küchentür hing inzwischen eine Karte von Australien, und eine von Neuseeland. Für mich war das alles so unvorstellbar, daß ich die ganzen Namen der Städte durcheinanderbrachte. Die Reiseführer und Gebrauchsanweisungen, die ich zu lesen anfing, waren so theoretisch, daß ich einfach keine Bilder vor meinem geistigen Auge entstehen sah. (Und das unterstreicht wieder meine Theorie, daß ich Reiseführer immer gern HINTERHER lese! DA WAR ICH!! Unfaßbar!)
Wenn ich mir jetzt die Karten von Australien und Neuseeland an der Küchentür anschaue, habe ich tausende Bilder und Erinnerungen im Kopf. Die tanzenden indischen Frauen in Perth, die leuchtenden Kunstinstallationen in Darwin, die schlafenden Krokodile im Kakadu-Nationalpark, die rosa Seerosen, die Kängurus, die im Sonnenuntergang vor unserer Hütte auf Känguru-Island herumhüpften, der erste Koala, den wir zufällig im Baum entdeckten (und die nach Eukalyptus riechende kleine Handvoll namens David, die ich dann mal für einen Moment festhalten durfte), die endlosen breiten Strände an der Ostküste, das türkisfarbene Wasser des Meeres, der Sonnenaufgang, der den Uluru in oranges Licht taucht, Sydney im Rauch mit einer verhangenen roten Sonne. Alles das – und viel mehr natürlich – ist nun für immer mit dem Wort „Australien“ verbunden. Wenn ich in unserem Flur an der Weltkarte vorbeigehe, fällt mein Blick darauf.
Und daneben natürlich Neuseeland: Mir fällt ein, wie wir in Bluff am südlichsten Punkt ein Foto machten, und Peter sagte: „Da vorne ist der Südpol.“ (Dann fuhr ein Wohnmobil mit Bonner Kennzeichen auf den Parkplatz, und wir machten die wunderbare Bekanntschaft mit Ines und Jürgen).
Die wunderschönen Parks und Grünanlagen, die wir in jedem noch so kleinen Ort fanden, die Fahrt über den See in Queenstown, die Wanderung um die Halbinsel Kaikoura, Rangis Bank und der Blick auf die Strömung, die erste Fontäne eines Wales und die langsam im Wasser abtauchende Schwanzflosse, die Delphine, die das Boot zu Hunderten begleiteten, der gläserne Boden des Fernsehturms von Auckland, das schwankende Erdbeben-Simulations-Zimmer im Museum in Wellington, die 180 weißen Stühle in Christchurch, die Kinn-Tattoos der jungen Maori-Frauen, das an die Wand eines Schulgebäudes geschriebene Tiaki-Versprechen. All das fällt mir ein, wenn ich das auf der Weltkarte winzige Neuseeland sehe.
Und Hawaii, von dem ich unerlaubt etwas Sand in den Schuhen hatte, und das ich auf der Weltkarte erstmal suchen muß - die dunklen Wolken in Kahaluu, die Surfer am Nordshore, Papaya zum Frühstück und Eis aus frischen Ananas, der Sonnenuntergang am Waikiki-Beach, die tanzenden Mädchen am Strand, Blumenketten und Surfbretter in allen Farben…
Das kleine hellblaue Surfbrett aus Holz, bemalt mit Hibiskusblüten, habe ich inzwischen in unserer bunten Küche angebracht. Die Magneten aus Oceanside und die Postkarten vom „Hollywood“-Zeichen haben ebenfalls Einzug in die Wohnung gehalten. Die Zitronen, die ich aus Peggys Garten aufgesammelt hatte, haben es unbeschadet nach Berlin geschafft. Ich rieche an ihnen und denke daran, daß ich vor einer Woche in Kalifornien war und wir einen herrlichen Abend auf der Terrasse eines Restaurants mit den Vetters verbracht haben.
So ist es kein Wunder, daß ich hier in den ersten Tagen in Berlin in unserer schönen und gemütlichen Wohnung, während es draußen regnet und schon wieder dunkel ist, ein bißchen benommen herumgehe, nicht so recht weiß, was ich mit mir anfangen soll – und letztendlich schon wieder vor der Weltkarte stehenbleibe.
Was macht so eine Reise mit einem? Wir können es wahrscheinlich jetzt noch gar nicht genau sagen. Auf jeden Fall ist es eine Sternschnuppe im Leben. Etwas, das so schön ist, und das doch vorbeisaust mit Lichtgeschwindigkeit und unaufhaltbar plötzlich hinter einem liegt. Und dann gucke ich mir die Bilder auf meinem Handy an und denke: „War ich wirklich da???“
Kommentare
Kommentar von Martina |
Brav hab ich gelesen, und es war wieder große Freude- wunderbare Zusammenfassung. Und ich kann euch sagen: auch nach 22 Jahren tauchen wunderbare Bilder und Erinnerumgen auf und es macht sehr stark, etwas getan zu haben, wovon viele Menschen ihr Leben lang nur träumen... Und zu unserem Treffen (liebsten Dank für die Einladung) bring ich einen Kiwi, eine Kiwi, die Tänzerin und Bilder mit. Und ich will Kochmaus kennenlernen!!! Vielleicht kann ich sie mal für die Arbeit als Unterstützerin gewinnen
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