Roter Teppich zu verschenken
von Peter Schäfer (Kommentare: 3)
Einer der Gründe, meinen Lebensmittelpunkt in die Hauptstadt zu verlegen, hing in gewisser Weise mit der Berlinale zusammen, einem der größten Filmfestivals der Welt.
Im Sommer des Jahres 2000 hatte ich an einer 4-wöchigen Seminarreihe unter dem Titel „From Script to Screen“ – „Vom Drehbuch auf die Leinwand“ – teilgenommen. Es ging um Drehbuchschreiben und Regie führen. Obwohl die 40 bereits gerissen, fühlte ich mich in der exklusiven Gruppe junger, ambitionierter Filmschaffender gut aufgehoben. Wie viele andere kreative Betätigungen bietet auch das Filmgeschäft Möglichkeiten für Quereinsteiger. Da ich mit dem Schreiben bereits seit 10 Jahren mein Geld verdiente, wollte ich mich als Drehbuchautor weiterentwickeln.
Die Seminarreihe war lehrreich, die Stimmung unter den Teilnehmern gut, beim Abschied war der Blick auf zukünftige gemeinsame rote Teppiche gerichtet.
Ein Jahr später folgte ich der Einladung zu einer Filmpremiere und besuchte erstmals die Berlinale. Im gleichen Jahr bezog ich in Berlin eine Zweitwohnung. Ich war bereit für Film und Fernsehen.
Einer von vielen. Und trotzdem ziemlich allein. Niemand wartete auf mich. Keiner brauchte mich. Es gab keinen Grund, mich kennenzulernen. Mein persönliches Netzwerk hatte so große Maschen, dass ohne Mühe Elefanten hindurchfallen konnten.
Immerhin war ich nun an dem Ort, an dem sich einmal im Jahr Menschen vom Film, die uns ansonsten von den Titelseiten der Boulevardpresse angrinsen, ganz aus der Nähe, live und in Farbe sehen ließen. Also bewegte ich mich auf die roten Teppiche zu und gelegentlich auch darauf.
Es gelang mir, Einladungen zu ergattern für Empfänge unterschiedlicher Institutionen, Dienstleister und Organisationen. Nicht genutzte Eintrittskarten, die mir manchmal jemand zusteckte, verschafften mir Zutritt zu Premieren und den anschließenden Partys.
Ich graste Büfetts ab, trank exotische Getränke mit und ohne Alkohol, stand wichtig in der Gegend herum und beäugte Leute, die wiederum mich beäugten. Wobei sich wohl jeder fragte, ob man die andere Person irgendwoher kennen sollte. Oder ob sie zumindest irgendwie wichtig für das eigene Fortkommen sein könnte. Die meisten Gespräche kamen über Small Talk nicht hinaus. Meine Sammlung an Visitenkarten wuchs. Zu keiner einzigen fällt mir noch ein Gesicht dazu ein.
Kein Fortkommen unter diesen Nummern.
Mein persönliches Highlight in den Jahren war der Anruf meines Steuerberaters. „Ich habe Sie im Fernsehen gesehen! Auf der Berlinale. Auf dem roten Teppich! Waren Sie das wirklich?“ Er hatte recht. Ich war´s.
Dank einer weitergereichten Eintrittskarte für eine Premiere war ich beim Einzug in den Berlinale-Palast im Abstand von 10 Metern lässig den allseits bekannten und berühmten Akteuren und Filmemachern über den roten Teppich gefolgt. Ich winkte lachend in Kameras, die garantiert nicht wegen mir dort aufgebaut waren. Und wenn schon. Es waren meine 5 Minuten Hollywood-Feeling. Niemand wird mir die wieder nehmen. Ich muss sie aber auch nicht unbedingt nochmal haben.
Nach der dritten Berlinale kam ich mir vor wie Bill Murray in „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Jedes Jahr: New Berlinale – same old shit. Party – ja klar! Interessante, weiterführende Kontakte – Fehlanzeige. Das Vagabundieren durch die verschiedenen Berlinalen brachte mich beruflich genau Null voran.
Irgendwann dämmerte mir, dass die wirklich wichtigen Leute nicht vor, sondern hinter oder ganz abseits der Kameras zu finden sind. Weitgehend außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung sorgen sie dafür, dass Stars und Sternchen zu Ruhm und Geld kommen und viele andere Menschen in unterschiedlichen Gewerken der Filmproduktion ein Einkommen generieren: Kameraleute, Beleuchter, Maskenbildner usw. Und natürlich auch Autoren.
Wirkliche Macher und Entscheider haben auf repräsentativen Veranstaltungen besseres vor, als sich von aufstrebenden Nachwuchstalenten ein Ohr abkauen zu lassen. Wenn es gut läuft, verabredet man sich später mit ihnen über ihre Sekretärinnen und Assistenten zu einem Termin. Jenseits von Festivitäten bekommt man dann vielleicht knapp bemessene Zeit, um eigene kreative Vorschläge kurz und prägnant darzulegen. Was sich anhört wie Klinkenputzen, ist genau das. Es gehört ebenso zum Geschäft eines Autors wie das Schreiben selbst.
Während ich weiter den Tätigkeiten nachging, die mir meine Miete bezahlten, arbeitete ich in meiner freien Zeit weiter an Drehbüchern und Filmideen. Im Laufe der Jahre wurde nur weniges verfilmt, manches bezahlt, ohne produziert zu werden und das meiste stapelte sich im Archiv und diente irgendwann bestenfalls als Arbeitsproben.
Ebenso wie die Arbeit im Steinbruch, ist der Vorgang des Schreibens frei von Glanz und Gloria. Disziplin ist erforderlich, Durchhaltevermögen und Fleiß. Und selbst dann hängt der Erfolg noch lange nicht vom eigenen Können ab. In der Film- und Fernsehbranche ist weder Kunst gefragt noch Originalität und schon gar nichts Außergewöhnliches. „Mainstream“ ist der verharmlosende Fachbegriff für „Mittelmass“, dem fast alles untergeordnet wird.
Gürtel UND Hosenträger. Nur nichts riskieren. „Gib mir das Altbekannte, nur anders“, so tönt die Gebetsmühle bei Produzenten und Redakteuren gleichermaßen. Ins Geschäft kommt und bleibt, wer gute Beziehungen hat. Wer dann noch pünktlich und zum vereinbarten Preis seine Arbeit abliefert, kann auf weitere Chancen hoffen. Allerdings nur, wenn man während des kreativen Prozesses schön die Klappe hält - gegenüber den Leuten, die zwar nicht die meiste Ahnung von Dramaturgie haben, aber das Scheckbuch für die Produktion überm Herzen tragen.
Irgendwann, nach etlichen Berlinale-Teilnahmen, fand ich mich an einem Februartag überraschenderweise nicht im grauen, verregneten Berlin wieder, sondern unter blauem Himmel. Ich weiß nicht mehr, ob es zum individuellen Schreib-Camp in der Karibik, oder ob ich mit meinem Freund Mike geschäftlich in Australien, Neuseeland oder Hawaii unterwegs war. Auf jeden Fall stellte ich fest, dass mir nichts fehlte und dass es mir nicht besser gehen konnte. Ich arbeitete dort, wo andere Urlaub machen. Auf keinen Fall vermisste ich die Berlinale und Berlin fehlte mir gleich gar nicht.
Offensichtlich hatte ich mich von meinen Träumen, die mich vor über 20 Jahren nach Berlin brachten, längst verabschiedet. Älter zu werden ist ja, neben vielem anderen, auch eine Aneinanderreihung von Abschieden: von langfristigen Plänen, von Träumen, Visionen und Wünschen. Wobei ich dieses Loslassen nicht als Verlust empfinde, sondern vielmehr als einen Akt der Befreiung. Denn neben den vielen Formen von Zwang ist der subtilste und hartnäckigste der selbstauferlegte Druck, oft genug unter der Fehlannahme, andere würden von uns etwas Bestimmtes erwarten.
Erst, wenn uns das Urteil anderer egal ist, können wir zu uns selbst finden. Aus uns herausholen, was in uns steckt. Und das geht nur, wenn wir nicht vorher schon die eigene Schere im Kopf betätigen.
Spät, zum Glück aber nicht zu spät, habe ich für mich beschlossen, dass die Arbeit an einem Projekt für mich dann sinnvoll ist und meine Zeit verdient, solange ich dabei mit mir im Reinen und zufrieden bin.
Inzwischen können mir rote Teppiche gestohlen bleiben. Statt mit Lackschuhen über die ausgerollten Bodenbeläge zu schreiten, laufe ich lieber barfuß durch warmen Sand. Geblendet von Licht, das nicht aus Scheinwerfen stammt, sondern vom blauen Himmel herab scheint. Und auf Rot muss ich auch nicht verzichten: sie sitzt mir jeden Tag gegenüber und gibt mir das Gefühl, ihr Star zu sein.
Kommentare
Kommentar von Klaus |
Herrlich! Und soooo gut nachvollziehbar!
Kommentar von Steffen |
Wunderbar geschrieben!
Alles Gute!!!
Kommentar von Kommentar von Günter |
Sehr anschaulich und schonungslos ehrlich geschrieben, und dadurch auch mal wieder menschlich äußerst sympathisch!
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