Raus aus BERlin
von Peter Schäfer (Kommentare: 0)
„Was machen Ostfriesen, wenn sie einen Eimer heißes Wasser übrighaben?“
„Einfrieren - heißes Wasser kann man immer gebrauchen.“
Als ich noch Kind war und Deutschland zweigeteilt, hatten im Westen Ostfriesenwitze Hochkonjunktur. Jede noch so menschliche Döspaddeligkeit wurde dem kleinen Völkchen hinter den Nordseedeichen angedichtet und untergeschoben. Das neue - gesamtdeutsche - „Ostfriesland“ hat seinen Standort zwischenzeitlich weiter nach Osten ins Landesinnere verlegt. Es heißt nun Berlin und ist Bundeshauptstadt.
Vor fast 20 Jahren behauptete ein sozialdemokratischer Bürgermeister von Berlin, die Stadt sei „arm, aber sexy“. Damit gelang ihm leider nichts anderes, als eine noch immer anhaltende desaströse Entwicklung zu verniedlichen. Die Folgen davon dürfen die Bewohner der Stadt bis heute ausbaden.
Mit über 50 Milliarden Euro Schulden ist Berlin heute noch immer arm dran. Von „sexy“ redet allerdings niemand mehr - zumindest nicht, wer in dieser Stadt lebt. Die laszive Selbsteinschätzung von damals hat offensichtlich wenig Anziehungskraft auf leistungsstarke und produktive Mitmenschen geübt, die die Stadt nach vorne bringen könnten.
Immerhin hat es Berlin in der Zwischenzeit geschafft, sich als „Club-Hauptstadt“ zu positionieren. Dass die modernen Tanzlokale vom Status der „Vergnügungsstätte“ zur "Kultureinrichtung" befördert wurden, ist allerdings auch kein Berliner Verdienst, sondern einer bundesweiten Anstrengung geschuldet.
Als während Corona wochenlang in allen Medien über das schreckliche Club-Sterben lamentiert wurde, rieben sich die Otto-Normal-Berliner ihre Augen vor Verwunderung. Bereits vor Corona wussten sie nicht, ob sie in Berlin noch zu Lebzeiten einen Reisepass bekommen würden. Oder einen Führerschein umgeschrieben. Oder einen neuen Wohnsitz angemeldet. Oder ... oder ... oder ...
„Party immer – Bürgeramt nimmer“ ist schon längst zum Motto der Stadt geworden.
Wer das als billige Berlin-Polemik abtut, dürfe spätestens am 26.9.2021 auf dem Boden der Tatsachen angekommen sein: Berlin-Marathon, Senats-, Bundestagswahlen und Volksabstimmung – alles an einem Tag - in einer Stadt, die damit hoffnungslos überfordert war.
Um den unfassbaren Peinlichkeiten auch noch die Krone aufzusetzen, wurden ausgerechnet diejenigen, die all das politisch mitzuverantworten haben, wieder gewählt - von den Berlinern selbst! "Du bist so wunderbar, Berlin", trällerte einst eine Bierwerbung über die Hauptstadt. Tatsächlich kommt man zu dieser Ansicht nur noch im Vollrausch.
Berlins Zustand lässt sich dabei am besten mit der Entwicklung der Flughäfen zusammenfassen: aus drei internationalen, funktionierenden Flughäfen wurde einer, der - tja - wie soll man es sagen - immerhin schon mal eröffnet wurde.
Mehr als 10 Jahre hat sich die Welt über die Unfähigkeit der Industrienation Deutschland amüsiert, ein bisschen Asphalt in die Pampa zu gießen und daneben ein paar großzügig angelegte Gebäude mit funktionierendem Stromanschluß zu stellen. Wenn man sich nun das Ergebnis, das unter dem Kürzel BER zu unfreiwilligem Ruhm gelangt ist, aus der Nähe anschaut, findet man spätestens hier den Beweis dafür, dass Berlin längst das Niveau der Länder erreicht hat, die von uns regelmäßig Entwicklungshilfe beziehen.
"Was macht ein Ostfriese, wenn er ein Loch im Boot hat?" - "Er bohrt ein Zweites, damit das Wasser ablaufen kann."
"Was macht ein Berliner, der in den Ferien in den Süden fliegen will?" - "Er nimmt den Zug nach Leipzig und fliegt von dort ab".
Kein Witz. Genau das wäre die einzige Lösung für viele Reisende gewesen, die in den vergangenen Wochen ihr Urlaubsziel per Flugzeug erreichen wollten. Obwohl sich etliche Passagiere bereits 3 bis 4 Stunden vor Abflug in die Menschenmassen am BER einreihten, konnten sie am Ende nur zusehen, wie ihr Flieger abhob - ohne sie.
Die Presse überschlägt mit sich mit Horrormeldungen vom Abflugterminal. Ausgerechnet jetzt, wo das Versagen am BER im laufenden Betrieb seine Fortsetzung findet, muss ich aus beruflichen Gründen nach Sardinien. Zum Umbuchen ist es zu spät.
Mit drei Stunden Vorlauf und ziemlich angespannt fahre ich auf einer der vielen Linien des öffentlichen Nahverkehrs aus der Stadt. Es scheint, als führen alle Züge zum BER - irgendwann allerdings alle auf derselben Trasse. Quasi Nadelöhr. Wenn hier nichts mehr geht, kann man immerhin schon sein davonfliegendes Flugzeug aus der Ferne sehen.
Es ist Sonntagvormittag. Die S-Bahn ist leer und weder Signalstörung, Polizeieinsätze oder Personen auf den Gleisen verzögern die freie Fahrt.
Hinter der Station Baumschulenweg wird es grün. Jede Menge Landschaft. Kein Flugzeug am Himmel. Von der vorletzten Haltestelle "Waßmansdorf" aus ist einer der größten Indoor-Windtunnel in Europa zu sehen, die "Hurricane Factory". Dahinter - gut sichtbar am Horizont - findet sich die weltweit größte Heiße-Luft-Fabrik - der Flughafen Berlin-Brandenburg.
Zwei Stationen später endet die Fahrt im Untergeschoss des peinlichsten Bauvorhabens seit Errichtung der Berliner Mauer.
Die Wege sind kurz. Nur zwei Rolltreppen nach oben und schon steht man im Terminal. Das soll ein Hauptstadtflughafen sein? Sowas findest du in jedem Bundesland als Provinzflughafen. Allerdings mit dem Unterschied, dass sie dort als überdimensionierte, prestigeträchtige Bauruinen ohne das erforderliche Flugaufkommen bereits seit Jahrzehnten den Steuerzahlern Aber-Millionen Euro Unterhaltskosten bescheren.
Mit dem Fluggastaufkommen hatte Berlin nie Probleme. Tegel und Schönefeld brachen im Parallelbetrieb unter der Last fast zusammen. Mit dem BER sollte das alles besser werden. Wie, weiß allerdings auch niemand so genau.
Immerhin scheint das befürchtete Organisationschaos heute Feiertag zu haben. Es geht erstaunlich zügig voran. Der eingeplante Sicherheitspuffer wird zu zweieinhalb Stunden Wartezeit. In der Lufthansa Lounge ist das gut auszuhalten. Der Blick aus dem Fenster ist wie aufs Tempelhofer Feld - ohne Drachen und ohne Skateboarder.
Irgendwann geht es endlich doch los. Pünktlich. Immerhin. Was will man mehr.
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