Rapunzel, lass den Fahrstuhl runter!
von Simone Keil (Kommentare: 1)
Wir haben mal wieder Lust auf einen kleinen Urlaub. Rot und Grau schenken sich sowas üblicherweise gern zu Geburtstagen oder Weihnachten, so dass immer etwas zu Zweit geplant werden kann. Nach einer Woche Rügen im Sommer wollen wir jetzt den Herbst in Waren/Müritz genießen: Dort gibt es einen Wasserturm, in den wir einziehen. Ganz oben natürlich, dem Himmel so nah.
Die Geschichte des Wasserturms in Waren/Müritz ist spannend:
Ende des 19. Jahrhunderts haben das rasante Bevölkerungswachstum und die technische Entwicklung in der Stadt dazu geführt, dass die bestehenden Brunnen den Anforderungen nicht mehr gewachsen waren. Ein Wasserwerk sollte gebaut werden, den Auftrag bekam ein Ingenieur aus Bochum.
Die Warener Zeitung berichtete im Jahre 1897: „Bemerkenswert ist, dass der Wasserturm, der ja bekanntlich auf dem Nesselberg erbaut wird und gleichzeitig als Aussichts-Plattform dienen soll, eine Höhe von 35 Metern, die Galerie eine solche von 17 Metern – von der Plattform des Nesselbergs an gerechnet – erhalten wird.“
Das Wasserwerk am Nesselberg ging im gleichen Jahr in Betrieb und mit ihm der Wasserturm, der von weit her sichtbar die seinerzeit noch niedrigen Bäume stolz überragte. Durch von Dampfmaschinen angetriebene Pumpen wurde das Wasser aus acht Rohrbrunnen, jeweils 12 m tief, gefördert. Wurde es nicht gleich in das Stadtnetz eingespeist, speicherte man das Wasser in dem 280 m von der Pumpstation errichteten Wasserturm – genauer gesagt, in dessen schmiedeeisernem Behälter, der auf einem ca. 14 m hohen, massiven Unterbau stand. Von hier aus wurden die knapp über 200 Hausanschlüsse versorgt; darunter das Rathaus, das Städtische Schlacht¬haus und das Großherzogliche Steueramt. Der Wasserpreis betrug in dieser Zeit für Private 30 Pfennig pro Kubikmeter (mindestens aber 1 Mark im Monat) und 10 Pfennig pro Kubikmeter für die Stadt.
Kurios, dass die Holzkonstruktion des Wasserturms wenige Jahre später in Brand geriet, und der Wasserturm dadurch schon wieder zerstört wurde, weil die Pumpen der Feuerwehr die nötigen Höhen nicht erreichen konnten. Dennoch wurde der Turm wieder aufgebaut – und auch die Beschädigungen des 2. Weltkrieges hat man wiederhergestellt. Der Turm versorgte dann bis zu seiner Stilllegung Anfang der 60er Jahre die Stadt Waren mit Wasser und war auch darüber hinaus bis in die 90er Jahre immer bewohnt.
Im Jahre 2010 gründeten eine Handvoll sehr engagierter Menschen eine GmbH, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den alten Wasserturm zu bewahren und die wechselvolle Geschichte zu neuem Leben zu erwecken. Sie haben den Wasserturm gekauft, umgebaut und dort mit sehr viel Liebe und Geschick vier Ferienwohnungen eingerichtet.
Und in der obersten Ferienwohnung, erreichbar durch über 67 sehr schmale Treppenstufen, beziehen wir Quartier für wenige Tage.
Über 7 (und sechzig) Stufen musst du geh´n ...
Ich habe selten eine so perfekt ausgestattete und originell eingerichtete Ferienwohnung bewohnt. Das „Wohn- und Ess-Zimmer“ ist mit einem eisernen Band umrundet: Die Kante ist ein Stückchen vom alten Wassertank. Die knallgelbe Küche ist so kompakt wie genial, es mangelt an gar nichts. Auf den Sofas kann man lümmeln, am großen Tisch haben sogar unsere Familienmitglieder Platz, die – obwohl Warener seit Jahren – den Turm von innen nicht kennen und uns begeistert besuchen. Sogar die Eltern des Grauen, jenseits der 80, besteigen die Treppen und staunen über die gemütliche Wohnung.
Kein Sonderaufzug nach Pankow
Über praktische kleine Regale und Schränkchen, die zahlreich jeden Millimeter der runden Wände ausnutzen, freue ich mich genauso wie über genügend Ablageborde im Bad – mit Aussicht auf die Baumwipfel. Der Graue versteht das nicht. Ihm ist es egal, wo ich seine Zahnbürste und meine Kosmetikabteilung abstelle. Hauptsache, er findet einen großen Kühlschrank und genügend Verteilerdosen für das Aufladen seines Equipments vor. Was auch der Fall ist.
Glücklich liegen wir im Bett in der Turmspitze, lauschen dem leisen Gezeter der Dohlen vor dem Fenster und ansonsten nur dem Wind auf dem Nesselberg und sind zufrieden. Rundum, im wahrsten Sinne des Wortes.
Unser absoluter Tipp des Jahres: https://www.bewahren.org
Kommentare
Kommentar von Die Kleene |
Wow, super schön!! Gefällt mir sehr gut. Und ja, Ruhe, genug Ablagen im Bad und ausreichend Steckdosen, genau das sind auch unsere Gradmesser einer guten Unterkunft.
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