Neue Stadt - neues Glück
von Peter Schäfer (Kommentare: 0)
Eine Stunde lang Massage mit Kokosöl für die Rote wird zum Höhepunkt des Aufenthaltes in Chiang Rai. Dann geht es nichts wie ab zum Busbahnhof. Nach vier Stunden Fahrt über Land erreichen wir die nächste, fast gleichklingende Stadt: Chiang Mai.
Als Unterkunft wählen wir diesmal ein atmosphärisches Hotel im Kolonialstil. Von dort erreichen wir alles im Innenstadtbereich zu Fuss. Bereits am ersten Abend geht es über einen Nachtmarkt, der diesen Namen auch verdient. Die Rote freuts. Den Grauen freuts, dass es die Rote freut. Und so freuen sich beide seit Ankunft in Thailand zum ersten Mal gemeinsam.
So ganz neu ist die neue Stadt, wie Chiang Mai übersetzt heisst, für mich nicht. Im April 1990 hatte ich die Ehre und das Vergnügen, die deutsche Nationalmannschaft im Fallschirmformationsspringen anläßlich der 3. Weltmeisterschaften als Delegationsleiter anzuführen. Und die wurden von der Thai Aero Sport Association in Chiang Mai ausgetragen. Ich nutzte die Veranstaltung seinerzeits auch, um für das seit Anfang 1990 von mir verlegte Magazin BLUE SKY- Fallschirmsport-Freizeit-Reisen aus erster Hand mit Fotos und Informationen zu versorgen. Am Ende wurden dem Event vier Doppelseiten gewidmet, so viel wie in keiner anderen Fachzeitschrift der Welt.
Beim ersten Besuch bekam ich von der Stadt selbst nur wenig zu sehen und von der umliegenden Landschaft das meiste aus der Luft. Ein paar Kneipenbesuche und ein kurzer Besuch auf einem Nachtmarkt sind mir in Erinnerung. Diesmal erkunden wir das alte Stadtzentrum, ehemals eingefasst von einer massiven Steinmauer und umgeben von einem wassergefüllten Wallgraben, als Schutz gegen Invasoren vor etlichen hundert Jahren.
Rund 300 Wats, also buddhistische Tempel, finden sich in der Stadt, die ansonsten keine Skyline aufweist. Aus Respekt vor der heiligen Doi-Suthep-Berglinie, die auch von der Stadt aus sichtbar ist, wird hier angeblich nicht hoch gebaut. Nach überlieferter Tradition, weil die Berge „sollen atmen können“.
Die größte Konkurrenz erleben die Tempel von rund 300 Cafés allein im Stadtgebiet, Tummelplätze für vor allem westliche Besucher. Chiang Mai ist eine der größten Drehscheiben Asiens, die von digitalen Nomaden genutzt wird. Vor allem junge Menschen aus westlichen Herkunftsländern finden hier eine Teilzeitheimat nach dem Motto: mit Fernarbeit sich zu Hause gutes Geld bezahlen lassen, um in einem Land mit dem Bruchteil unseres Durchschnittseinkommens zu leben wie Graf Koks.
Wir selbst könnten uns keine Geldsumme vorstellen, die uns veranlassen würde, hier dauerhaft zu bleiben. Auch hier zu viele Menschen auf zu wenig Fläche, Monsterverkehr, zu laut, zu vermüllt und eine Luftqualität, zu der sich Los Angeles ausnimmt wie ein Sanatorium für Atemwegserkrankungen.
Der Elefant - Chang auf thailändisch - ist das Wappentier des Landes. Die Region Chiang Mai gilt als Zentrum der Elefantenkultur. Früher war die Stadt ein logistischer Hotspot für die Holzindustrie. Elefanten, Jahrhunderte lang als Arbeitstiere eingesetzt, wurden hier für schwere Arbeiten genutzt und dabei ebenso respektvoll/los behandelt wie alle anderen Nutztiere auch - also ziemlich schlecht.
Heute setzt man auf den Schutz der Tiere und deren Rehabilitation. Ein Elefant kann schon Mal 90 Jahre alt werden. Und da er in der Wildnis so überlebensfähig ist wie ein Wellensittich in Berlin, der im Winter aus seinem Käfig und der klimatisierten Wohnung flüchtet, gibt es zahlreiche Auffangstationen, die den dünnhäutigen Riesen ein erträgliches Restleben ermöglichen sollen. Wir buchen für den letzten Tag einen Ausflug, um mehr über diese Geschichten zu erfahren und die wundervollen Tiere aus unmittelbarer Nähe bestaunen zu können.
Ein paar Mal passieren wir ein unscheinbares altes Portal zu einem umfriedeten und eingewachsenen Grundstück. Es grenzt unmittelbar an unser Hotel an. Am letzten Tag biegen wir dort ein und finden uns auf einer Tempelanlage wieder. Alt und prächtig, wäre meine Kurzzusammenfassung. Das ganz besonders Erfreuliche für uns, dass wir keine weiteren westlichen Besucher sichten. Die anwesenden, einheimischen Menschen nutzen den Ort für ihre buddhistischen Rituale. Neugierig und in einigem Abstand sehen wir, wie sie nicht vor Statuen posieren, sondern dort in sich gehen und eine Art Fürbitte leisten. Zwei junge Männer lassen offensichtlich ihren Motorroller segnen, vermutlich in der Hoffnung auf sichere Verkehrsteilnahme. Der Präsentkorb, den sie anschließend dem diensthabenden Mönch überreichen, könnte günstiger ausfallen als der Abschluss einer Unfallversicherung - die nicht dafür bekannt ist, dass sie Unfälle verhindert.
Zwei Stände kommen uns vor wie Aussenstellen einer Kleintierhandlung mit Schwerpunkt für Fische und Amphibien. Für kleines Geld können hier Eimer erworben werden, in die Fische, Frösche, Würmer, Krabben und ähnliche Lebewesen gefüllt werden. Damit geht man dann zum Fluss hinab und schenkt den Tieren dort die Freiheit. Das geht bereits mit einem Einsatz von umgerechnet einem Euro und ist wohl gut fürs Karma. Irgendwie trifft das nicht ganz unsere spirituelle Grundauffassung und wir können uns nicht überwinden, Kreaturen aus ihren Gefängnissen zu erlösen. Auch deswegen nicht, weil wir nicht herausfinden, wie es um das Seelenheil derer bestellt ist, die die Tiere zuvor in die Aquarien verbracht haben.
Etwas später auf einem kleinen Friedhof lernen wir allerdings, dass uns die Thais bereits Jahrhunderte voraus sind. Genau genommen 543 Jahre. Wir blicken auf die leeren Behältnisse am Flussufer. Vielleicht sind wir Westler ja doch ziemlich rückständig.
Bis zur Weiterreise juckt es mir in den Fingern, eine andere schöne Erinnerung wiederzubeleben. Der Besuch des Doi Suthep-Pui Nationalparks mit dem dort befindlichen Tempel Wat Phra That Doi Suthep. Er gehört zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten Nordthailands. Mich beeindruckte damals die Anlage und das geradezu perfekte Umfeld, die hügelige tropische Waldlandschaft. Ein für mich bemerkenswert schöner Ort.
Als immer noch lernfähiges Wesen, beschließe ich aufgrund der bisherigen Thailanderlebnisse, nicht die Toten ruhen zu lassen, sondern meine alten, zauberhaften Erinnerungen lebendig zu halten. Warum im Taxi-Stau die Berge hinauf ruckeln, um sich dort oben dann doch wieder nur die Disneylandisierung eines ehemaligen buddhistischen Heiligtums anzutun.
Die handgemalte Postkarte des Tempels, die ich in der Altstadt erblicke, muss diesmal reichen. Ich will nicht mehr zerstören, was in meinem Kopf so perfekt funktioniert.
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