Lockdown in Panama #2-April
von Gast (Kommentare: 0)
April - Abril
Mittwoch, 1. April:
Ab sofort dürfen Frauen nur noch montags, mittwochs und freitags und Männer nur noch dienstags, donnerstags und samstags in ihrem zugewiesenen Zeitfenster kurz zum Einkaufen raus. Kein Aprilscherz! Außerdem tritt das „Ley seca“, das „Austrocknungsgesetz“ in Kraft, das den Verkauf, Besitz und Konsum von Alkohol verbietet. Immer mehr der geschlossenen Hotels und Restaurants verbarrikadieren ihre Eingangsfront mit hohen Bretterwänden.
Donnerstag, 2. April:
Meine Ausgangszeit liegt zwischen 11 und 13 Uhr. Vom Hotel zum Supermarkt brauche ich jeweils 10 Minuten hin und zurück. Da kann ich vor meinem Einkauf noch großzügig um den Block hoch zur Via Argentina laufen und ein wenig frische Luft schnappen, kalkuliere ich. Als ich an der Kreuzung Via Argentina / Via España ankomme, traue ich meinen Augen nicht: Von dort verläuft eine 600 m lange Männer-Schlange bis zum Supermercado Rey, flaniert von Polizisten, die den Abstand zwischen den Wartenden kontrollieren, und Mundschutzverkäufern. Ich stelle mich ganz hinten an und warte bei sengender Mittagshitze eine geschlagene Stunde bis zur Ankunft am Eingang. Die Reduzierung der Ausgangstage hatte die Anzahl der Shopper drastisch in die Höhe schnellen lassen. Dazu dürfen sich nur 50 Menschen gleichzeitig in dem riesigen Supermarkt aufhalten. Gehen 5 raus, dürfen 5 rein. Am Eingang überprüfen 2 Polizisten den richtigen Sitz meiner Maske, einer misst meine Temperatur mit einer Infrarotpistole an der Stirn, der andere sprüht meine Handflächen und Schuhsohlen mit Desinfektionsmittel ein. Im Supermarkt kontrollieren weitere Polizisten die Abstände der Shopper zueinander - beim Einkaufen und an den Kassen. Ein Prozedere, das die nächsten Wochen zur Routine werden soll.
Fiebermessung am Supermarkteingang, der zugleich Ausgang ist: gehen 5 raus, dürfen 5 rein.
Freitag, 3. April:
Die Erkenntnis, voraussichtlich für längere Zeit mit nur 3 kurzen Ausgangszeiten pro Woche (!) in meinem Hotelzimmerchen eingesperrt zu sein, zwingt mich, neue Strukturen in mein Leben zu bringen. Ab sofort ist täglich Morgengymnastik angesagt. Danach 15 Minuten Online-Sprachkurs. Erst dann gibt’s Frühstück – meist ein Sandwich – und hinterher werden die E-Mails abgearbeitet. Dann laufe ich 3 x die vier Stockwerke von meinem Zimmer zur Rezeption runter und wieder rauf. Einfach nur, um nicht einzurosten. Jeden Mittwoch und Freitag ist Home-Office via Skype mit meiner jüngeren Tochter Sabine angesagt und am Sonntag Skypen mit allen Familienmitgliedern.
Zimmer 409 im Hotel Marbella, Calle D * Mein Fenster zum Hof
Samstag, 4. April:
Heute in 10 Tagen läuft mein Auslandskrankenschutz ab, den mir meine Kreditkarte automatisch für die ersten 45 Tage meiner Reise gewährt. Eine Verlängerung dieser Versicherung ist nicht möglich. Ich stöbere den ganzen Tag im Internet. Alle Versicherungen, die ich finden kann, schließen entweder Klienten über 60 Jahre oder Reisende, die bereits unterwegs sind oder beides aus. Ich maile dennoch einige Versicherungen mit der Bitte um eine Ausnahme an, da ich vor Reiseantritt ja nicht wissen konnte, dass mir 45 Tage nicht ausreichen würden. Aber die Versicherungen kennen keine Gnade. Viele teilen mir auch noch mit, dass sie das Pandemierisiko ausschließen.
Dienstag, 7. April:
Endlich würde mich eine Versicherung nehmen: Allianz Care. Der freundliche Mitarbeiter ruft mich morgens um 3 Uhr aus seinem Call Center in Irland an. Meinen Hinweis auf die Zeitverschiebung hatte er übersehen. Er meint, seine Versicherung mache nur Jahresverträge, verspricht aber, mir ein sehr gutes Angebot per Mail zu schicken.
Mittwoch, 8. April:
Das sehr gute Angebot der Versicherung ist da. 9.000 € für 12 Monate mit Zweibettzimmeranspruch, ohne Chefarztbehandlung und ohne Krankenrücktransport. Ob Pandemie-Erkrankungen mit versichert sind, müsste noch geklärt werden. Da bleibt mir erst mal die Luft weg!
Donnerstag, 9. April:
Nun ist auch die Apotheke an der Av. Eusebio A Morales mit Brettern verbarrikadiert, obwohl sie offen hat! Der Inhaber mit Pump Gun hinterm Tresen erklärt mir den Grund: Angst vor Vandalismus.
Ich kaufe für 2 Tage im Supermarkt ein, denn Männer dürfen ja erst am Samstag wieder raus. Bei der Rückkehr ins Hotel – meine Ausgangszeit ist abgelaufen – erfahre ich, dass wegen Ostern diesmal am Samstag auch alle Supermärkte geschlossen bleiben. Nun habe ich für volle 5 Tage: 2 Äpfel + 3 Bananen + 2 Dosensuppen + 2 Eier, die ich im Wasserkocher hart kochen will. Nächste Ausgeh- und Einkaufsmöglichkeit: Dienstagmittag! Wäre doch gelacht, wenn ich bei dieser staatlich verordneten COVID-19-Diät nicht abnehme.
Verbarrikadierte Apotheke * Meine beste Errungenschaft: ein Wasserkocher
Ostersonntag, 12. April:
Mein Lebensmittelvorrat ist aufgebraucht. Ich stöbere beim örtlichen Lieferservice apetito24, finde aber nur Pizzas und überteuertes Junk-Food. Bestelle einen Cheeseburger mit Pommes für 20 US$ inklusive Lieferkosten. Schlapprig und kalt.
Ostermontag, 13. April:
Heute wird gefastet! Ich trinke je 1 Liter Pfefferminz- und Kamillentee. Es tut mir gut. Ich habe genug Reserven auf den Rippen. Ab sofort gibt es während der wöchentlichen Ausgangssperre zwischen Donnerstagmittag und Dienstagmittag immer einen Fastentag!
Dienstag, 14. April:
Den drei Obdachlosen, die sich dauerhaft vor dem Supermarkt niedergelassen haben, gebe ich ab sofort jeden Dienstag und Donnerstag jedem ein Stück Hotelseife und 1 Balboa = 1 US-Dollar. Das tut mir nicht weh und macht sie sichtbar glücklich. Die Seife killt das Virus und der Balboa reicht den Armen für eine warme Mahlzeit.
Donnerstag, 16. April:
Ich entdecke im Internet für den 1. Mai einen verfügbaren Condor-Flug von Panama City über Punta Cana nach Frankfurt/Main und buche sofort. Die Buchungsbestätigung von Condor folgt wenige Minuten später. Der 1. Mai 2020 ist unser 30. Hochzeitstag. Das wird eine Riesen-Überraschung für meine Frau!
Freitag, 17. April:
Condor storniert den Flug. Überraschung geplatzt. Enttäuschung groß. Dazu kommt, dass Condor den Flugpreis sofort von meiner Kreditkarte abgebucht hat und ich weiß, wie schwer es ist, von Condor etwas zurückzubekommen. Ich habe noch offene Forderungen von einem Downgrade eines 6 Monate zurückliegenden Fluges, bei dem es die bezahlte Premiumklasse gar nicht gab. Condor will trotz eindeutiger EU-Bestimmung nichts erstatten und beruft sich auf das laufende Schutzschirmverfahren.
Samstag, 18. April:
Ich nutze mein Zeitfenster und mache mich um 11 Uhr auf den Weg zum Supermarkt. Die Stadt ist wie ausgestorben. Zwei Polizisten halten mich an und geleiten mich freundlich aber bestimmt zurück ins Hotel. Die Regierung hat am Vorabend beschlossen, ab sofort auch samstags eine generelle Ausgangssperre zu verhängen. Meine Personalien werden erfasst. Die nächste Übertretung kostet 250 US$.
Endlich spüre ich einmal, wie es sich anfühlt, alleine wegen seines Geschlechts benachteiligt zu werden. Frauen dürfen weiterhin 3 x pro Woche (Di./Mi./Fr.) raus, Männer nur noch 2 x (Di./Do.). Das macht einen gewaltigen Unterschied! Jeder Gefängnisinsasse sieht öfters den Himmel (täglicher Hofgang) und hat mehr soziale Kontakte.
Geld und Seife für Obdachlose * Wer mit dem Auto unterwegs ist, muss seine Fahrt gut begründen und belegen können. Sonst gibt's eine hohe Strafe und Führerscheinentzug. Seit Beginn der COVID-19-Krise hat der Staat bereits über 12.000 Führerscheine eingezogen.
Montag, 20. April:
Die Regierung gibt bekannt, dass die bis 22. April befristete Grenz- und Flughafenschließung zunächst um weitere 30 Tage verlängert wird.
Dienstag, 21. April:
Ich bestelle im Internet 30 langstielige Rosen der Sorte Red Naomi und eine Riesentorte zur Lieferung für den 1. Mai an meine heimatliche Wohnadresse anlässlich unseres Hochzeitstages.
Donnerstag, 30.April:
Rosen und Torte kommen zu Hause an. Besser einen Tag zu früh, als einen Tag zu spät. Der 1. Mai ist ja ein Feiertag. Meine Frau ist zu Tränen gerührt, wegen der wunderbaren Rosen und wegen der Aufschrift auf der Torte: Für Gabi, die große Liebe meines Lebens! - Das kommt von Herzen und entspricht meinen Empfindungen.
1. Mai 2020 – unser 30. Hochzeitstag! Gabi freut sich über 30 rote Rosen.
von Klaus Heller, Reiseführer- und Sachbuchautor
© Klaus Heller 2020, www.klaus-heller.de
Tel.: 00507-6138-1591 (ab 17 Uhr MESZ), Skype: letmeflynow
Lockdown Panama - Corona-Tagebuch
https://www.rotundgrau.de/blog-detail/der-himmel-muss-warten.html
https://www.rotundgrau.de/blog-detail/lockdown-in-panama-ein-corona-tagebuch.html
https://www.rotundgrau.de/blog-detail/lockdown-in-panama-2.html
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https://www.rotundgrau.de/blog-detail/lockdown-in-panama-4-mai.html
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