Leinen los!
von Peter Schäfer (Kommentare: 4)
„Mit leichtem Gepäck durchs Leben“, davon schwärmt die Rote im heimatlichen Berlin ununterbrochen. Fernab von Zuhause, nur mit Handgepäck und einer Plastiktüte voller Produkte aus der chinesischen Markenpiraterie, stellt sich das alles auf einmal ganz anders dar. Trotz ultraleichtem Gepäck ist der Gemütszustand der kleinen Rothaarigen bleiern beschwert, als die Reisegruppe ihre schwimmende 5-Sterne-Unterkunft für die kommenden Tage betritt.
„Kapitän Ulf Sodemann und seine Crew nehmen Kurs auf Ihr Erlebnis und freuen sich sehr, Sie auf der HANSEATIC nature begrüßen zu dürfen. Schreiben Sie Ihre ganz persönliche Entdeckergeschichte und genießen Sie dabei mit allen Sinnen. Wir wünschen Ihnen eine unvergessliche Zeit bei uns!“
Die freundliche Begrüßung auf dem Monitor in der Kabine 624 wird durch Champagner und Häppchen stilvoll abgerundet. Die Gäste sollen sich von Minute eins an wie zu Hause fühlen. Das klappt nicht bei allen in der Reisegruppe gleich gut. Der weibliche Teil sinniert ja bereits seit Lissabon ununterbrochen über ihre eigene Entdeckergeschichte nach, die ihr schon jetzt eine unvergessliche Zeit bereitet hat. Was das Sinnliche betrifft, überschatten allerdings die Kopfschmerzen den Genuss.
Während der Familienvorstand nach dem Begrüßungsimbiss, und angesichts der zufriedenstellenden versorgungstechnischen Gesamtlage an Bord längst seine Fassung wiedergewonnen hat, steht seine Gemahlin noch während des Ablegens gedankenverloren an der Reling. Im Geiste sieht sich bis zum Ende der Reise wechselweise im schwarzen und roten T-Shirt über Deck flanieren, zwischen Mitreisenden, die alle zwei Stunden ein neues Outfit aus ihren mitgeführten – auf dem Schiff befindlichen(!) – Koffern ziehen können. Ist das noch Kreuzfahrt oder schon Extrem-Urlaub? Als sie sich stundenlang Zeit lässt, um ihre vier Kleidungsstücke in die großzügigen, gähnend leeren Kleiderschränke zu räumen, kommen ihrem Mann ganz andere Fragen in den Sinn: Ist das noch Selbstkasteiung oder schon Hospitalismus?
Zugegeben, selbst Kochmaus hat mehr Zeug in ihrem Rucksack dabei als die Rote und der Graue zusammen. Aber irgendwann ist auch mal genug. Da muss man den Realitäten ins Auge blicken. Oder einem Gläschen Champagner - an Deck liegend, während das Expeditionsschiff gemütlich schunkelnd in die vorausliegende Nacht navigiert.
Einen Moment lang überkommt den Gatten das merkwürdige Gefühl, dass seine Angetraute glücklicher wäre, wenn sich die Situation andersherum darstellen würde: Koffer da – Mann verschollen. Aus Angst vor der Antwort behält er diese Frage aber lieber für sich.
Inzwischen weiß jeder an Bord, welche zwei Mitreisenden ohne Gepäck sind. Mitleidige Blicke, besorgtes Nachfragen, Erzählungen von ähnlichen Erlebnissen - die Empathie ist aufrichtig. Es wäre keine Überraschung, wenn sich am nächsten Morgen anonyme Kleiderspenden vor der Kabinentür stapeln würden.
Bis zum letzten Hemd – Kundenbetreuung vom anderen Stern
Seit der Landung in Sal und nach der Verlustmeldung des Gepäcks scheinen sich im Hintergrund bei Hapag Lloyd ziemlich viele Räder zu bewegen, um die in Lissabon liegengebliebenen Koffer heranzuschaffen. Die Anteilnahme der Mitarbeiter ist rührend. Noch am Flughafen erhält die Rote von einer Hapag-Begleiterin ein frisch gebügeltes Dienst-Shirt – und das, obwohl sie selbst noch einige Tage im Dienst ist und dies ihr letztes sauberes Oberteil ist.
Auch ansonsten schwadroniert niemand lange herum über „Dienst am Kunden“. Es wird einfach gemacht! Ohne, dass wir darum bitten oder nachfragen müssen, geht es Schlag auf Schlag – machen die Mitarbeiter, was sie machen können, immer freundlich, immer verbindlich, immer aufmunternd: plötzlich findet sich ein Geldbetrag auf unserem Bordkonto mit dem Vermerk „Guthaben verspätet ausgeliefertes Gepäck“. Damit könnten wir uns bei Bedarf in der Bordboutique einkleiden. Am Abend bekommen wir zwei „Notfall-Sets“ (jeweils für Mann und Frau unterschiedlich) mit Unterwäsche, Socken, T-Shirts und einem gut durchdachten Sortiment an Hygieneartikeln. Die am Leibe getragene Anreise-Wäsche wird express gereinigt (kostenlos) und bei Rückgabe auf dem Tablett serviert. In Seidenpapier eingeschlagen.
Bei all dem führen wir uns immer vor Augen, dass es nicht die Reederei war, die die uns in diese unkomfortable Situation gebracht hat, sondern die Airline – diesmal die TAP-Air Portugal.
Irgendwann ergibt sich auch die Gemahlin einer entspannenden Resignation. Hoffnung auf den nächsten Tag – und die letzte Chance, doch noch die Koffer zu bekommen, macht sich breit.
Die erste Nacht an Bord ist wie erwartet erholsam. Das Meer rauscht durch die offene Balkontür. Das Schiff wiegt die erschöpften Reisenden sanft in den Schlaf.
Am frühen Morgen läuft das Schiff in Mindele ein, der Hauptstadt auf der kapverdischen Insel Sao Vincente.
Nach dem ersten Frühstück an Bord auf dem sonnigen Lido-Deck erkunden die langsam wieder zu Kräften kommenden Reisenden zunächst das Schiff. Als nach dem Mittagessen noch immer keine Koffer in Sicht sind, bekommt die Rote wieder leichte Hitzeflecken im Gesicht und drängt auf einen letzten Ausflug an Land, um die immer noch angespannte Bekleidungs- und Kosmetiklage weiter zu entschärfen.
Obwohl ein ganz normaler Wochentag, sind alle Läden geschlossen. Mittagspause bis um drei. Der Kopf der Roten verliert den Halt und fällt nach vorn, Kinn auf die Brust.
Zu Fuß trottet man zurück zum Hafen. Der Gemahl folgt mit geringem Sicherheitsabstand seiner Angetrauten, um schnell einschreiten zu können, falls sie beschließt, sich vom Kai in den Atlantik zu stürzen.
An der Gangway fragt mit ernster Miene einer der Stewards: „Haben Sie schon gehört? Das von ihren Koffern?“
„Nein?“ zittert es mit gebrochener Stimme aus der Roten hervor.
„Ihre Koffer – sind da!“
Mit kleinen, spitzen Schreien, in olympiaverdächtigem Tempo prescht eine kleine rothaarige Frau durch die Gänge der Hanseatic und stürzt sich auf ihren Koffer, der vor der Kabine steht, als wäre er nie woanders gewesen.
Der Tag ist gerettet. Der Abend auch. Und die Nacht sowieso. Die Rote kriegt nicht genug davon, die Koffer auszupacken und in die Schränke einzuräumen. Schade, dass es nur zwei Gepäckstücke sind, die verloren gegangen sind.
Das Schiff legt ab und während hinter ihm in der Kabine Schubladen auf- und zu geschoben werden, fotografiert der Graue das sich langsam entfernende Festland.
Zwei Seetage liegen vor den zwei Kreuzfahrern. Sie haben nun soviel Klamotten in den Schränken hängen, dass es für eine Weltumseglung reicht.
Jetzt geht der Urlaub endlich los. Aber so richtig.
Kommentare
Kommentar von Steffi |
Schöne Zeit für euch LG
Kommentar von Klaus |
Glückwunsch! Da fällt mir ein Stein vom Herzen und ich freu´ mich richtig für euch! - Jetzt kann euch nichts mehr erschüttern ...
Kommentar von Peter |
Klaus, Du weißt doch, in unserem Alter kann uns nur noch wenig erschüttern :-)
Hasta luego
Pedro
Kommentar von Roya Ahmadi |
Puhhh…. Koffer weg ganz schlimm. Freue mich, dass sich so schnell alles aufgelöst hat.
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