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Lebenswege - Der Verleger hat das Wort

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Als Verleger der „Lebenswege“ wurde mir die Ehre zuteil, anlässlich der offiziellen Buchpräsentation am 10.10. 2023 ein paar Worte an die „Müritzer Schreibfedern“ und ihre Gäste zu richten.

Ihr lieben Federleichten,

herzlichen Dank für die Einladung zu diesem denkwürdigen Tag bei Euch in Waren.

Es ist mir eine große Freude, hier zu sein, nicht zuletzt wegen der Verbindung zwischen Euch und mir, die - unbekannterweise – ja bereits seit einiger Zeit besteht. Unser gemeinsames Bindeglied: Dagmar Mayer.

Ohne sie, ohne ihre Initiative zur Gründung der „Müritzer Schreibfedern“ säße heute keiner von uns hier. Und das Buch „Lebenswege“ würden wir auch nicht feiern.

Obwohl ich Dagmar nun seit über 12 Jahren kenne, ist sie für mich noch immer gut für Überraschungen.

Inzwischen habt Ihr sicher alle Eure eigenen Geschichten und Erfahrungen mit ihr und damit eine Ahnung, was ich meine.

Da ich hier umgeben bin von Schreibenden, möchte ich Euch – als ebenfalls Schreibender – dazu ein persönliches Erlebnis preisgeben.

Es erzählt von meinem Verhältnis zu und meinem Verständnis von Dagmar Mayer als Autorin. Und einem ganz besonderen Eindruck, den sie bei mir hinterlassen hat. Jenseits und unabhängig von den Inhalten ihrer Texte.

Vor gar nicht langer Zeit lebte sie noch in Erfurt. Und da gab es eine Phase, in der es ihr körperlich und seelisch suboptimal ging – wie man neudeutsch so schön sagt.

Alle Menschen in ihrem persönlichen Umfeld versuchten sie aufzumuntern und aus dem Kummer-Tal herauszuholen. Weder ihre Kinder, Enkelkinder, die Aussicht auf Nah- oder Fernreisen oder sonstige Unternehmungen vermochten sie aufzumuntern.

Nichts führte zum Erfolg. Und irgendwann machte sich kollektive Ratlosigkeit breit.

Doch ohne eigenes Wollen und ohne eigene Anstrengung ist jeder Heilungsprozess mühselig, wenn nicht sogar vergebens.

Schließlich kam mir eine Idee. Ein letzter Versuch: Ich riet ihr, dass sie tun solle, was sie ein Leben lang gern getan hatte: Schreiben. Immerhin lag die Veröffentlichung ihres letzten Buches „Die Skorpionfrau“ bereits 20 Jahre zurück. Davon zehrten sie und ihre Leser noch immer.

War in der Zwischenzeit nichts Erzählenswertes passiert?

Kurz und gut: die Skorpionfrau ließ sich auf den Vorschlag ein, ihre neuen Erlebnisse aufzuschreiben. Sie raffte sich auf, erblühte zu neuem Leben und ging wie verwandelt dem dritten Frühling entgegen.

Großes Aufatmen meinerseits. Denn über zwei Dinge war ich mir ziemlich sicher. Erstens: Dagmar würde diese Aufgabe sehr ernst nehmen und - einmal angefangen - auch zu Ende führen.

Damit würde sie zweitens – und davon war ich ebenfalls zu 100 Prozent überzeugt - die nächsten zwei bis drei Jahre sinnvoll beschäftigt sein. Wir waren nämlich so verblieben, dass sie nicht nur eine Geschichte, sondern ein ganzes Buch schreiben sollte. Ich versprach ihr, es zu verlegen und zu veröffentlichen.

Wie erwartet, hörte ich danach erstmal nichts mehr von ihr. Keine Klagen, keine trostsuchenden Anrufe, nichts.

Drei Monate, nachdem wir unsere Abmachung getroffen hatten, meldete sie sich zum ersten Mal wieder. „Ich bin fertig.“

„Fertig womit?“, wollte ich wissen. „Körperlich? Mit den Nerven? Oder vielleicht mit irgendeinem Inhalt zum Buch? Inhaltsverzeichnis? Vorwort? Ein erstes Kapitel?“

„Das Buch ist fertig.“

Das Gute an alten Telefonen ist, dass es nur Ton und kein Bild überträgt. Somit konnte Dagmar auch nicht sehen, mit welch belämmertem Gesichtsausdruck ihr Verleger auf der anderen Seite ungläubig den Telefonhörer anstarrte.

Wie erwähnt, hatte ich keine Zweifel, dass sie das Buch schreiben würde. Aber in diesem Tempo?

Doch genauso war es.

Ohne auch nur ein Wort gelesen zu haben, ging ich allein vor der Schreibleistung innerlich auf die Knie. Als Autor weiß ich sehr wohl, was es heißt, eine bestimmte Zahl von Wörtern druckreif zu Papier zu bringen.

Danach kam es nicht nur mir so vor, als hätte sich diese von Dagmar gemeisterte Aufgabe wie ein Booster auf ihre gesamte Befindlichkeit ausgewirkt. Wie eine fast leere Batterie, die an den Strom angeschlossen wird.

Schreiben kann eine eigene Kraft und Magie in sich bergen. Nicht nur bei Lesern, sondern zuallererst bei uns selbst. Den Schreibenden.

Natürlich geschieht Schreiben nicht in rein therapeutischer Absicht. Ungeachtet dessen halte ich es für die stärkste rezeptfreie Medizin, mit denen Autoren den Unbilden in sich und um sich herum begegnen können.

Natürlich kann man seine Ängste, seine Wut, seine Freude, seine Trauer und seine Fassungslosigkeit auch hinausschreien in die Welt. Allerdings verhallt das gesprochene Wort, sobald es unseren Mund verlassen hat. Wenn wir Pech haben, ohne dass es jemand gehört hat - oder ohne dass sich jemand daran erinnern wird.

Das geschriebene Wort aber bleibt. Für uns selbst und für andere. Es birgt alles in sich, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Und genau das macht das Schreiben so einzigartig und so wertvoll.

Für mich ist es tröstlich zu wissen, dass es etwas gibt, das ich ohne großen Aufwand, ohne komplizierte Technik (ein Blatt Papier und ein Stift reichen), jederzeit und überall praktizieren kann. Ein Leben lang.

Das Schreiben bietet mir Tag für Tag die Möglichkeit, mich auszudrücken und mein Leben mit etwas Sinn anzureichern. Dabei kommt es gar nicht so sehr auf die Qualität des Ergebnisses an, sondern vielmehr auf das Tun.

Egal, ob ich Tagebuch schreibe, Blog-Einträge im Internet poste, Liebes- oder andere Briefe verfasse oder nur Gedanken zu Papier bringe, die außer mir niemand zu Gesicht bekommt. Schreiben hat etwas befreiendes. Unter vielen anderen Gründen auch deswegen, weil es dabei nicht um Meisterschaft geht, sondern allein um die Übung. Die allerdings kann uns wiederum sehr wohl zu Meisterschaft führen.

Dem größten Problem bzw. Hindernis, um die Vorzüge dieses wundersamen Heilmittels nutzen zu können, begegnen wir, wenn wir in den Spiegel schauen. Jeder, der mit einer gewissen Ernsthaftigkeit versucht hat zu schreiben, weiß, dass Schreiben nicht nur schön ist und nicht immer Spaß macht. Schreiben kann Arbeit sein. Harte Arbeit.

Was als Gedanken so glasklar in unserem Kopf herumschwirrt, unsere Gefühle, unsere Stimmungen - all das in Worte zu fassen, die für jedermann verständlich und nachfühlbar sind, ist eine Herkulesaufgabe. Fast immer.

Für mich zeichnet einen ernstzunehmenden Autor aber aus, dass er sich diesem Prozess, diesem Ringen stellt. Nicht einmal. Immer wieder. Und der erste Schritt, um sich ernsthaft Autor nennen zu dürfen, ist, sich auf die eigenen vier Buchstaben zu setzen und anzufangen.

Ich bin unzähligen Menschen begegnet, die „eine Geschichte im Kopf“ haben. Leuten, die überzeugt sind, dass ihr Leben „ein Buch füllen“ würde. Keine Ahnung, was aus all den Kopf-Geschichten und „Man-müsste-mal“-Büchern geworden ist. Ich weiß nur, dass sie sich nicht von allein schreiben.

Die Zahl derjenigen, die von ihrem Buch träumen oder fantasieren, überwiegt jedenfalls erheblich die Zahl derer, die es in die Tat umgesetzt oder zumindest ernsthaft versucht haben. Und zu den letzteren gehört nun auch Ihr, liebe Schreibfedern. Und dazu verneige ich mich ganz aufrichtig vor Euch. Ihr habt bewiesen, dass Ihr mitbringt, was die Grundvoraussetzung ist, um sich selbst als Autor zu definieren: Hingabe und Disziplin.

Die Texte im Buch „Lebenswege“ sind zu mehr als 90 Prozent biografischen Inhalts oder Ursprungs. Ihr habt geschrieben, was Ihr erinnert. Ihr habt festgehalten, was Euch bewegt. Und indem Ihr über Euch und Euer Leben geschrieben habt, seid Ihr Euch selbst ein bisschen nähergekommen, habt Ihr Euch selbst etwas besser kennengelernt. Selbst besser verstanden. Eventuell auch mit Euch selbst versöhnt.

Wirkliche Autoren wissen, dass man Schreiben vor allem durch Schreiben lernt und währenddessen mehr und mehr über den Schreibenden erfährt - also über sich selbst.

Eure Lebenswege und die Ereignisse am Wegesrande stehen stellvertretend für die vieler anderer. Als Menschen einer bestimmten Generation habt Ihr darüber nun Zeugnis abgelegt. Damit schließt sich für Euch ein Kreis. Und für mich auch.

Da es bekanntlich schwer ist, einen alten Baum zu verpflanzen, war die ganze Familie gespannt, wie sich Dagmar nach ihrem Umzug von Erfurt nach Waren in ihrer neuen Heimat einleben würde. Schließlich kannte sie außer ihrem Sohn und dessen Familie niemanden.

Ich gab ihr und uns ein Jahr Zeit, um eine erste Bilanz zu ziehen, um zu sehen, wie ihr der Wechsel des Lebensmittelpunktes bekommen wäre und ob es ihr gelungen wäre, die ein oder andere neue Bekanntschaft zu schließen.

Was soll ich sagen?

Der Möbelwagen war - gefühlt - gerade vom Hof gerollt, da lancierte sie die Bildung einer Schreibgruppe. Am 15.11.2021, kein halbes Jahr nach ihrer Ankunft, waren die „Müritzer Schreibfedern“ geboren. Anderthalb Jahre später lag deren – also Eure - erste Anthologie bei mir auf dem Schreibtisch.

Wieder einmal hatte mich Dagmar mit ihrer Power überrascht. Wieder einmal war ich begeistert.

Wenn ich das Buch nun sehe, rührt es mich an. Und es macht mich stolz, dass ich einen kleinen Beitrag zu dieser Erfolgsgeschichte beisteuern konnte.

Abschließend möchte ich Euch ermuntern, es nicht dabei zu belassen. Hört weiter in Euch hinein. Ergründet, welche Geschichten noch in Euch stecken. Schreibt sie auf. Ganz egal, ob daraus ein weiteres Buch entstehen wird oder nicht. Und vielleicht macht der ein oder andere unter Euch darüber hinaus auch den nächsten Schritt vom biografischen zum kreativen Schreiben.

„Es passiert nichts Gutes. Außer, man tut es.“, hat Erich Kästner einst gesagt. Dass Ihr dazu in der Lage seid, habt Ihr ja bereits bewiesen.

Alles Gute für die Zukunft.

Vielen Dank.

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