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Leaving Las Vegas

von (Kommentare: 3)

„Was ist der Grund ihrer Reise?“
„Urlaub“
„Wie lange bleiben sie in den Vereinigten Staaten?“
„Zwölf Tage“
Die Beamtin der amerikanischen Heimatschutzbehörde gibt mir den Pass zurück. „Viel Spaß.“

Den habe ich bereits. Mein persönlicher Rekord für die Einreise in die USA lag bisher bei drei Minuten. Hier, in Las Vegas, sind die Formalitäten innerhalb von 90 Sekunden(!) abgewickelt. Nach dem angenehmen, elfeinhalb Stunden langen Flug, geht es gleich gut weiter. Meine Stimmung steigt. In der Ankunftshalle wartet ein Mann mit einer Tafel, auf der mein Name steht. Er bringt mich ins Hotel Bellagio im Zentrum der Stadt direkt am Las Vegas Boulevard.

Vor ein paar Monaten habe ich die USA zum letzten Mal bereist. Gemeinsam mit meinem Freund und Partner Mike Vetter, dem Besitzer von GoJump America. Auf Hawaii haben wir uns verabschiedet, nicht wissend, wann und wo unser nächstes Wiedersehen sein würde. Nun also Las Vegas. Wieder einmal. Und wieder einmal freue ich mich darüber. Mike ist bereits in der Stadt. Er ist am Morgen aus Kalifornien angereist. Mit einem kleinen LKW. Der steht beladen am GoJump-Headquarter, bereit zur Weiterfahrt.

Einen Tag verbringen wir noch in der Stadt. Relaxen, essen gut und gönnen uns am Abend eine der vielen Shows des Cirque du Soleil. Noch einmal savoir vivre, bevor wir aufbrechen. Denn egal, wann, wie und wo wir unterwegs unterkommen werden, nichts wird ans Bellagio heranreichen.

Der Jetlag hat mich fest im Griff. Am Morgen der Abreise entschädigt mich ein spektakulärer Sonnenaufgang den ich vom Hotelfenster aus genieße, für die Schlaflosigkeit.

Ganz zum bloßen Vergnügen ist unser Zusammentreffen nicht. Vegas ist unser Startpunkt für eine 4.000 Kilometer lange Reise Richtung Osten. Das Ziel ist New York City. Auf Long Island, in direkter Nachbarschaft zur Millionenmetropole, operiert seit einigen Tagen das jüngste Baby der GoJump-Sprungplatzfamilie: GoJump New York.

Wir wollen eine Wagenladung Material und Zubehör dort hinschaffen. Das Auto hat hinten ausreichend Platz und Stauraum. Was sich von der Fahrerkabine leider so nicht sagen lässt. Die Rückenlehnen stehen unveränderbar in einem 90-Grad-Winkel. Da ist nichts mit liegen oder Beine lang machen. Mein Rücken stichelt bereits heimtückisch: Willst du das wirklich? Ja, ich will. Diese (Tor)Tour auf vier Rädern wird sich einreihen in die Liste der vielen anderen Ausflüge, die es in keinem Reisebüro zu buchen gibt. Zudem geht es durch Gegenden, die ich noch nie gesehen habe. Einmal quer durch das Kernland der USA.

Es ist immer wieder faszinierend, wie schnell man sich in den großen Flächenstaaten der USA nur wenige Kilometer hinter der Stadtgrenze in ursprünglichen Landschaften wiederfindet. Gegend, die sich bis zum Horizont erstreckt, wie Wasser im Ozean.

Im Verlauf reihen sich Ortschaften entlang der Interstate-Highways auf, wie verlorene Perlen an einer viel zu langen Schnur. Die großen leeren Räume zwischen ihnen sind gefüllt mit ursprünglicher Landschaft.

In der Peripherie großer Städte säumen Billboards die Straßenränder, übergroße Werbebotschaften für alles mögliche. Häufig konkurriert dabei Jesus mit lokalen Anwälten. Der eine verspricht Erlösung und den direkten Weg zu Gott. Die wenig vertrauenserweckenden Anzugträger setzten mehr auf irdische Befreiung in Form von Geld. Sie suchen jede Art von „Opfer“, die sie zu ihren Mandanten machen, um anderen Menschen und Versicherungsgesellschaften das richtig große Geld aus den Rippen zu klagen. Nimmt man nur die Zahl der Werbeplakate, sind Jesus und Gott deutlich in Unterzahl.

Unsere Reise startet im Bundesstaat Nevada. Bald durchqueren wir Utah und erreichen danach Colorado. Die Hauptstadt Denver ist unser Tagesziel. Wenn wir dort ankommen, haben wir in etwa die Strecke Berlin-Marseille zurückgelegt.

Fahren. Tanken. Fahren. Essen. Fahren. Toilette. Fahren. Tanken. Fahren. Fahren.

Wir durchqueren Bundesstaaten, die größer sind als manch europäisches Land. Betrachtet man allein den Zustand der Straßen, bekommt man eine Ahnung von der Leistungsfähigkeit dieses Landes. Baustellen, die wir passieren, sind voll von Menschen, Maschinen und Material. Alles wird in Bewegung gesetzt, um Schäden auszubessern oder Straßen zu erweitern. Ich muss an Deutschland denken und Baustellen, die verwaist sind und irgendwie nichts voran geht. Was bei uns in Monaten und Jahren geschafft wird, ist hier in Tagen und Wochen erledigt. Koste es, was es wolle. Tag und Nacht sowie Sonn- und Feiertag wird gearbeitet, bis die Probleme beseitigt sind, die den flüssigen Verkehr einschränken könnten. Freie Fahrt für freie Bürger wird hier im Gegensatz zu uns nicht über eine schwachsinnige Diskussion über Tempolimit geführt. Hier sieht man zu, dass es Straßen gibt, auf denen man sich mit Tempo 120 relativ ununterbrochen voran bewegen kann.

Als die Dämmerung einbricht, sind es noch Stunden bis zum Etappenziel. Es beginnt zu regnen. Die Strecke zieht sich. Die Freude auf ein warmes Bett bekommt einen zusätzlichen Dämpfer. Als wir Hinweisschilder nach Aspen sehen, denke ich noch: Oh, Aspen. Das bekannte Wintersportgebiet. Hier? Ja! Genau hier. Wir passieren soeben die südlichen Ausläufer der Rocky Mountains.

Und schon leuchten die ersten Warntafeln auf: Keine Weiterfahrt ohne Schneeketten. Wir haben alles mögliche an Bord. Schneeketten sind nicht dabei. Winterreifen? Mike meint, das Profil sah ziemlich gut aus, als er den Wagen übernommen hatte. Wir fahren weiter. Die Straße ist frei. Der Regen nicht zu heftig. Und alle anderen fahren auch.

Bald wird aus dem Regen Schnee. Bald bleibt der Schnee liegen. Es geht bergauf. Zwei Pässe liegen vor uns. 3.400 Meter ist der höchstgelegene. Wir werden langsamer, die Tanknadel bewegt sich jetzt ziemlich schnell auf Reserve zu. Riesige Trucks ziehen ans uns vorbei. Ungebremst und ohne Schneeketten.

Eine Werbetafel von Jesus wäre jetzt schön. Mit Telefonnummer. Vielleicht könnte man sich ja irgendwie arrangieren und er lässt uns heute nochmal durch. Wir fahren wie durch ein frisches Aquarell, in dem Farben miteinander verschwimmen und Formen ineinanderfließen. Was für eine Alternative haben wir jetzt? Keine. Also weiter und hoffen, dass das Benzin reicht.

Möglicherweise hat Jesus gar kein Telefon und er hilft uns auch so. Jedenfalls schaffen wir es über die Berge und bis zur nächsten Tankstelle. Der Rest ist ein Klacks. Nach Mitternacht sind wir durch Denver durch.

Ein Drittel der Strecke ist geschafft. Kurz schlafen und dann weiter. Next Stop: Chicago. Die nächsten 1500 km.

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Kommentare

Kommentar von Maximiliane |

Der unverstellbare 90°-Sitz hat mich so getriggert, dass ich beim Lesen die ganze Zeit Rückenschmerzen hatte.

Kommentar von Peter Schaefer |

Liebe Maxi, du wirst es nicht glauben. Meinem Rücken geht es besser als je zuvor. Versuchs mal selbst. 15 Stunden grade sitzen. Wie neu geboren :-)

Kommentar von Lysette |

Danke fürs mitnehmen.
Und, das muss ich jetzt zum "Bautempo"sagen, ich bin froh, dass wir Arbeitnehmerschutzgesetze haben.
Wobei auch ich etwas Tempo beim Straßen- und Brückenbau begrüßen würde.

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