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Keine Brücken am Fluss

von (Kommentare: 2)

Wasser ist die Grundlage für Leben, so wie wir es kennen. Im Amazonas gibt es von beidem sehr viel. So viel, dass unsere naturwissenschaftlichen Experten an Bord versichern, dass es hier mehr unentdeckte als entdeckte Arten gibt. Das gilt für Pflanzen ebenso wie für Tiere. Was die Menschen betrifft, so hat man - wie es scheint - inzwischen auch die letzten Indigenen lokalisiert. Das war zumindest vor 50 Jahren auch noch anders.

Alles, was in dieser Region (über)lebt, passt sich an. Das Wasser ist der große Bestimmer. Es zu bekämpfen - zwecklos. Mit dem Strom schwimmen oder untergehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Land, das monatelang zugänglich und nutzbar ist, wird eben solange zu einer Schwemmlandschaft, die zu Fuß nicht mehr zu durchqueren ist.

An diesem Tag verlassen wir zwar die Hanseatic, aber nicht die Zodiacs. Zwei Wasserwanderungen im Gummiboot.

Guajará

Die Häuser der Ansiedlung verteilen sich hier so locker, dass man sie auf den ersten Blick kaum als ein Gemeinwesen erkennt. Wie im australischen Outback, scheint auch hier der Nachbarschaftsbegriff anders definiert und mit Leben gefüllt zu sein, als bei uns.

Die Menschen leben von Wasserbüffeln und der Milch, den sie den Tieren abnehmen, um sie zu verkaufen. Die Tiere verbringen, ihrem Namen gerecht werdend, die meiste Zeit im Wasser. Um sie melken zu können, wurden Holzkonstruktionen in die Landschaft gebaut, wo die Tiere sich sammeln und die Menschen sie um ihre Milch erleichtern können.

Die Wasserbüffel kommen ursprünglich aus Asien. Bei einer Schiffshavarie 1920 vor der Küste Brasiliens konnte sich eine kleine Herde retten und an Land schwimmen. Bis heute haben sie sich auf ungefähr 3 Millionen Tiere vermehrt. Im Gegensatz zu Australien, wo die aus Indonesien eingeführten Wasserbüffel durch ihre ungezügelte Verbreitung, enormen ökologischen Schaden in den Schwemmgebieten anrichten, stellen die Tiere hierzulande angeblich kein Problem dar. Neben den domestizierten Rindern sehen wir zahlreiche Vögel und Leguane, die sich angesichts des Wasserstandes bevorzugt in den Bäumen aufhalten.

Das absolute Highlight des Ausfluges sind die Flussdelfine. Sie sind so ganz anderes als ihre Kollegen in den offenen Meeren. Und sie machen es uns nicht leicht, sie zu bestaunen. Sie zeigen sich nur kurz. Stecken ihre unförmigen Köpfe und langgezogenen Schnauzen aus dem braunen Wasser und verleiten uns damit zu kurzen spitzen Begeisterungsschreien. Als sich ein schweinchenrosa (!!) Exemplar aus den Fluten erhebt, gibt es kein Halten mehr. Schwindel erfasst uns vor Freude. Dass wir so etwas in freier Wildbahn erleben dürfen. Eine halbe Stunde lang begleitet uns eine Gruppe von sechs oder sieben Delfinen. Irgendwann ist nicht mehr klar, wer hier wen beobachtet. Und das ist einfach nur schön.

Virassaia

Der zweite Ausflug erinnert schon mehr an eine Ortschaft, wie wir sie kennen. Die Bebauung ist enger. Privat- und Gemeinschaftsbauten wechseln sich ab. Wir erkennen eine Bar und eine Art Supermarkt. Schiffe in unterschiedlichen Größenordnungen beleben die Hauptwasserstrasse des Ortes. Hier sollen sich etliche Bootsbauer niedergelassen haben. Venedig lässt grüßen.

Mit einer verblüffenden Nonchalance bewegen sich die Menschen hier fort. Statt auf Fahrrädern oder Mopeds düsen Kinder in Booten durch die Gegend. Statt einem Schulbus sammelt ein Schulschiff die Kinder ein und schippert sie in die nächstgelegene Bildungseinrichtung. Wer auf einen Drink Freunde treffen will, muss ins Boot. Wie die das hier wohl mit Alkohol am Ruder halten?

Die Begegnungen und der Kontakt mit den Anwohnern ist durch die Sprachbarriere umständlich aber nichtsdestotrotz immer wieder herzerwärmend. Kinder strahlen uns an. Sie sind schüchtern und neugierig und dabei von einer entwaffnenden Unschuld. Ein Junge paddelt mit unserem Zodiac um die Wette, seine Freunde johlen und feuern ihn an. Er wechselt mit uns ein paar Sätze auf Englisch und ist stolz, dass er seine Sprachkenntnisse anwenden kann. Bereitwillig gibt er Auskunft über seinen Lieblingsfußballklub.

Während wir zu Hause Bücher gewälzt haben, um gefährliche Wassertiere auswendig zu lernen, schwimmen und toben die Kinder hier im Fluss und haben mehr Spaß als wir zu Hause im Freibad, wo es immerhin auch tödliche Schlangen gibt: nervtötende - vor der Pommes Bude und dem Eisstand.

Irgendwo steckt dann auch hier noch ein Delfin kurz den Kopf aus dem Wasser. „Das kann doch alles nicht wahr sein“, ist der sich ständig wiederholende Gedanke, der uns durch den Kopf geht, seitdem wir diese Reise angetreten haben. Wenn Astrid Lindgren hier aufgewachsen wäre, hätte ihr Erfolgswerk nicht in „Bullerbü“ gespielt, sondern in Virassaia.

Wir kehren aufs Mutterschiff zurück. Wieder einmal mit diesem unterschwelligen Gefühl, dass die Menschen hier soviel weniger haben als wir. Und doch so viel mehr.

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Kommentare

Kommentar von Roya Ahmadi |

Wunderschöne Eindrücke, ich reise in Gedanken mit….

Kommentar von Elke Beerhalter |

Sag, ich doch … so viel mehr!

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