Inselspringen
von Simone Keil (Kommentare: 1)
El Hierro
Am Morgen nach dem Vulkan finden wir überall auf dem Schiff die Spuren unseres Besuches vor. Die Asche des Cumbre Vieja hat sich als dunkle Staubschicht auf jedes Geländer und jede Sonnenliege gelegt. Überall wird geputzt und gewischt, während das Schiff in Puerto de la Estaca auf EL Hierro festmacht.
Nach dem Frühstück machen wir einen Landausflug. Bildungs- und Erziehungsziel ist es, die kleinste der Kanarischen Inseln kennenzulernen. Immerhin galt dieses winzige Inselchen mit seinen 270 qkm lange Zeit als westlichster Punkt der damaligen Welt. Die lebhafte und gutgelaunte Reiseleiterin beklagt den Diebstahl des Nullmeridians durch die Engländer, nachdem Kolumbus Amerika entdeckt hatte.
Die Insel ist beeindruckend karg und dennoch voller Leben. Hier kennt man keine Staus, kein Leben nach der Uhr. Hier bestimmen noch die Jahreszeiten, das Wetter und die Sonne den Rhythmus des Alltags. Wo die Steinrosen aus den Felsen wachsen, ist Norden. Jenseits der Serpentinen treffen wir auf Extremsportler mit Lauf- oder Wanderausrüstung. Je höher wir mit dem Bus die Berge hinauffahren, desto kühler wird es. Und desto spektakulärer werden die Ausblicke auf die felsigen Wände, die sich über der tiefblauen See nach oben ziehen. Auf der Aussichtsplattform Mirador de la Pena genießen wir ergriffen den unfassbar schönen Blick.
Wie eine Sichel zieht sich das fruchtbare Tal El Golfo im Halbkreis um einen unsichtbaren Krater, der zur Hälfte aus dem Wasser schaut. Heute wachsen hier Bananen und Ananas in Hülle und Fülle, weshalb das Tal den Beinamen „Obstgarten der Insel“ trägt.
Bevor wir aufs Schiff zurückkehren, schauen wir uns einen spektakulären Felsen-Pool an. Hier wurde für Badegäste an der steinigen Küste ein Becken angelegt, denn touristische Badestrände findet man auf El Hierro inmitten der rauen Ursprünglichkeit eher nicht. Die Wellen schlagen kraftvoll über den Beckenrand, die Gischt spritzt hoch und funkelt in der Sonne. Wir prägen uns den wunderbaren Anblick ein, wenn wir im heimatlichen Hochsommer mal wieder einen Ausflug zum Berliner Schlachtensee machen wollen.
La Gomera
Das Einlaufen in den kleinen Hafen von San Sebastian de la Gomera am nächsten Morgen ist spektakulär: Gerade geht die Sonne wie eine orangene Scheibe auf und die Wolken reißen auseinander. In der Ferne ist der Teide von Teneriffa zu sehen, der wie ein majestätischer Zuckerhut durch die letzten Schleierwolken schaut. Wir stehen auf dem Balkon und verzeihen dem Schiff, dass es uns schon wieder nur eine Seenacht gegönnt hat und gerade wieder die Leinen auswirft. Nun also La Gomera. Im November gibt’s bei strahlendem Sonnenschein und 22 Grad sicher Schlimmeres.
La Gomera überrascht uns. Ganz anders als El Hierro ist die Insel grün, die Vegetation wechselhaft und an jeder nicht vorhandenen Ecke farbenprächtig und satt. Wir fahren durch Bananenplantagen und hören die interessante Geschichte, wie die Bananen aus La Gomera den Vorschriften der EU nicht genügen, weil sie von Natur aus etwas kleiner als die Normbanane und mit Sommersprossen zur Welt kommen. Dafür sind sie gehaltvoller und viel süßer. Aber Vorschrift ist Vorschrift und wo kämen wir denn hin, wenn wir im deutschen Supermarkt die Bananen mit Sommersprossen akzeptieren würden. Diversität ist hier noch nicht angekommen. Wir schauen uns die Bananenblüten richtig genau an und bewundern mal wieder den Schöpfer, der aus kleinen Minifingern, die der Sonne entgegenwachsen wollen, und deshalb krumm nach oben streben, ein gutverpacktes Nahrungsmittel erschafft. Ob mit oder ohne Sommersprossen: Wie perfekt alles ist, was jenseits der sinnfreien Vorschriften irgendwelcher EU-Experten von der Natur erfunden wird.
Nach dem Spaziergang durch wunderschöne kleine Dörfer im Sonnenlicht landen wir im touristischen Zentrum von La Gomera. Hier können wir uns einige kleine Filmchen anschauen, die uns Antworten auf die Fragen geben, die wir beim Befahren der vielen Serpentinen mit unzähligen Blicken in tiefe und unwegsame Täler ständig auf der Zunge hatten: Wie macht man dieses schwierige Gelände urbar? Wie ist es gelungen, hier Terrassen in den Bergen anzulegen, um dem fruchtbaren Boden seine köstlichen Schätze zu entlocken? Wir bekommen einige Beispiele für die Kreativität des Menschen gezeigt: So erfanden die Bewohner der Insel eine eigene Pfeifsprache, mit der sie sich von Berg zu Berg ihre Informationen austauschen konnten. Über die unwegsamen Felsen und Steine bewegte man sich mit einer Art langer Stange, die man in den Boden rammte, und an der man sich dann abstoßen konnte, um Hindernisse zu überwinden. So einfach wie genial.
Zum Schluss fahren wir ganz nach oben in den Nationalpark Garajonay, der zum Unesco-Welterbe zählt. Wir spazieren mit dicken Jacken durch den kühlen verwunschenen Nebelwald, der aussieht wie aus dem Märchen. Moosbewachsene Lorbeer- und Heidebäume bilden hier ein eigenes ganz besonderes Bild, das an die Urwälder der früheren Menschheitsgeschichte erinnert.
Es würde mich nicht wundern, wenn hier ein Tyrannosaurus Rex aus dem Gebüsch gucken würde, sage ich zum Grauen. „Bestimmt einer mit roten Haaren“, gibt der wieder freche Antworten. Nur Kochmaus kichert leise in der Handtasche.
Kommentare
Kommentar von Martina |
Mal wieder sehr beeindruckend Fotos, es ist wieder wunderbar, euch auf eurer Reise zu begleiten. Krimitipp für lange Seetage: die Lostreihe von Gil Ribeiro.
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