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Gesichter der Arbeit

von (Kommentare: 2)

Maloche statt Heldentum

19 Industriebetriebe weist die Schautafel für Ostberlin im Jahre 1989 aus. Bis 2005 sind 16 von der Liste verschwunden. Und mit ihnen über 55.000 Arbeitsplätze. Die Ausstellung „Gesichter der Arbeit“ zeigt nun einige aus diesem ehemaligen Heer der Arbeiter und Werktätigen, als sie noch in Lohn und Brot standen. Auch wenn sie in Berlin gemacht wurden, stehen die Aufnahmen stellvertretend für alle anderen Betriebe, die einst das wirtschaftliche Rückgrat der DDR bildeten.

Der 1940 geborene Fotograf Günter Krawutschke arbeitete seit 1970 als Bildreporter und Fotograf für den Berliner Verlag. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit waren die Industriebetriebe im Ostteil der Stadt. Die Ausstellung umfasst 50 Schwarz/weiss-Fotografien. Auf einer Schautafel und mit zwei erläuternden Texten ist das Notwendige zu den Fotos und dem Fotografen zu erfahren. Die wenigen Worte passen sich an die gezeigten Bilder an, die unprätentiös Momente aus dem Leben von Menschen wiedergeben, die mit ihren Händen und dem Einsatz ihrer Körperlichkeit, den Lebensunterhalt verdienten.

Nicht die Produktionsabläufe oder Wirtschaftszahlen stehen hier im Vordergrund. Es sind Individuen, die ansonsten hinter jeder Statistik verborgen und unerkennbar bleiben. Menschen, die arbeiten, um sich zu ernähren, um ein Dach über dem Kopf zu haben, um ihre Kinder kleiden zu können und die ab und zu in den Urlaub fahren möchten.

Die Fotos spiegeln nichts von dem wieder, was wir gut genährten Wohlstandsbürger mit Selbstverwirklichung assoziieren. Und auch dem Versuch, dem Einzelnen einen besonderen Stellenwert im Kollektiv zuzuschanzen, in einem großen Ganzen, in einer Idee (in diesem Fall der Sozialismus), sprechen diese Bilder zuwider. Industriearbeit ist nicht sexy. War es nie. Das zeigen die Bilder einmal mehr.

Aber sie zeigen auch noch etwas anderes. Quasi zwischen den Zeilen. Unterschwellig transportieren sie nämliche eine weitere Ebene von Arbeit und zwar die der Zugehörigkeit. Nicht im Sinne einer abstrakten politischen Idee (einige Bilder hätten genauso gut im Ruhrgebiet der 60er Jahre aufgenommen worden sein können), sondern vielmehr als Teil einer geschlossenen Gemeinschaft. An der kann nur teilhaben, wer sich selbst im Arbeitszeug direkt an den Produktionsmitteln die Hände schmutzig macht. Auf einem Bild, anlässlich einer Ehrung für vorbildliche Arbeitsleistungen, das in keiner Werkshalle sondern in einem Saal stattfindet, wird diese Diskrepanz deutlich.

Die dazu genutzte, repräsentative Räumlichkeit wirkt im Vergleich zu den Hintergründen aller anderen Fotos wie eine Kulisse. Menschen in feiner Kleidung erscheinen seltsam kostümiert. Während in der Werkshalle das wahre Leben stattfindet, wird hier Theater inszeniert. Die Gesichtsausdrücke der Personen lassen vermuten, dass die Beteiligten den Unterschied sehr wohl verstanden haben. Daran änderte auch nichts, dass die Aufnahmen zu DDR-Zeiten zumeist nicht veröffentlicht werden konnten.

Das und noch viel mehr erzählen die Fotos. Und von einer Zeit, die unwiederbringlich vergangen ist. Der Fotograf wurde dabei unbeabsichtigt zu einem Chronisten einer Wirklichkeit, die schon wenige Jahre später nicht mehr existierte.

„In den Werkhallen, in denen Krawutschke um 1980 Arbeiterinnen und Arbeiter, Näherinnen oder Jugendbrigaden fotografiert hat, findet man heute Asiamärkte, Luxuslofts, Kreativ-Start-ups, aber auch immer noch viel Industriebrachen.“

Worauf die Zukunft einer politisch-ökonomischen Utopie fussen sollte, reicht heute also gerade noch für eine Ausstellung im Museum. Nicht verwirklichte Visionen einer Gesellschaftsform sind zu Erinnerungen an eine längst vergangenen Zeit (in Wirklichkeit sind es „erst“ 30 Jahre) geworden.

Denkt man einen Moment lang darüber nach, fördert es auch Gedanken darüber, wie wir die Bedeutung unseres eigenen Lebens und Schaffens einordnen und bewerten können. Egal, was wir tun, wie gut, wie schlecht, wie überzeugt und engagiert oder einfach nur gelangweilt - irgendwann rollt die Zeit über uns hinweg. Und den meisten von uns wird anschließend nicht mal mit einer Fotografie gedacht.

Gesichter der Arbeit. Fotografien aus Ostberliner Industriebetrieben von Günter Krawutschke.

Die Ausstellung wurde bis zum 30.Juni 2020 verlängert.

Deutsches Technikmuseum * Trebbiner Straße 9* 10963 Berlin

Eintritt: 8 Euro (Nicht nur für die Ausstellung, sondern für den gesamten Bereich des sehenswerten Museums)

https://technikmuseum.berlin/ausstellungen/sonderausstellungen/gesichter-der-arbeit/

 

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Kommentare

Kommentar von Die Kleene |

Danke für den tollen Tipp lieber Peter. Simone erzählte mir davon letztens in der Mittagspause Du hast mich mit deinem Bericht noch neugieriger gemacht. Auch ich habe für eine Zeit in TRO in Schöneweide gearbeitet, welches nach der Wende schnell geschlossen wurde. Keine gute Phase, ABER so kam ich zu meinem jetzigen Arbeitgeber und lernte später Andreas und Simone kennen :-) :-)

Kommentar von Martina |

Das berührt mich als Bergmannskind und Gewerkschfterin sehr. Müssen wir hin ! Danke für die Anregung

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