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Joker

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Joker

Geschichten über Superhelden gehen immer. Geschichten über Superschurken auch. Und Geschichten über Verlierer? Verlorene? Hoffnungslose? Was ist mit Charakteren, mit denen man nicht einen Augenblick lang tauschen möchte, die man sich weder als Freund noch als Nachbar vorstellen mag? Eigentlich ist das nichts, womit sich großes Publikum bewegen lässt. Das ist eher was für europäisches Autorenkino und Literatur für Intellektuelle. Wenn sich ausgerechnet Hollywood einer derartigen Figur annimmt, kann man zumindest mal nachfragen, wieso und warum. Zumindest nach den bisherigen Einspielergebnissen von über einer Milliarde(!) US Dollar (55 Millionen reine Produktionskosten - ohne Werbeausgaben) kann man behaupten, dass dies wirtschaftlich gesehen ein kluge Entscheidung war.

Der Film hat bereits reihenweise Preise abgeräumt, bevor er in den nächsten Tagen für die Oscars ins Rennen geht, u.a. für den besten Film und für den besten Hauptdarsteller. Und damit sind wir auch schon bei dem Erfolgsgeheimnis von Joker: Hauptdarsteller Joaquin Phoenix. Über den Inhalt der Geschichte kann man noch unterschiedlicher Auffassung sein. Aber mir fällt kaum ein anderer Schauspieler ein, der in der jüngeren Vergangenheit eine solche Darbietung abliefert wie Phoenix alias Arthur Fleck alias Joker.

Der Mann verkörpert keine Person, er verinnerlicht auch keinen Charakter, den er in eigener Interpretation ans Publikum zurück gibt. Das greift alles viel zu kurz. Phoenix erschafft eine neue Kreatur. Er erweckt ein Wesen zum Leben und brennt es mit seinem ausgemergelten Körper (vor dem Dreh hat er 24 kg abgenommen) in die Leinwand und von dort aus durch die Augen der Zuschauer bis tief in deren Innerstes. Man sieht diese Figur nicht - sie ergreift Besitz von einem. Zwischen Beklemmung und Fassungslosigkeit erlebt man die Wandlung, die Phoenix/Fleck in der Geschichte vollzieht, physisch fast selber mit - vom naiven, chancenlosen, gebrochenen Opfer, zu einem Wesen, das beginnt, der Gnadenlosigkeit seiner Umwelt mit ebensolcher Gnadenlosigkeit zu begegnen.

Arthur Fleck ist ein Clown. Er bestreitet sein Einkommen damit, indem er andere zum Lachen bringen soll. Er selbst hat dabei wenig zu lachen, obwohl er es ständig tut - Arthur leidet unter einer Art umgekehrtem Tourette-Syndrom. Er hat eine psychatrisch-klinische Vorgeschichte, braucht Medikamente und bekommt trotzdem Lachanfälle in den unpassendsten Situationen. Aber auch wenn er sich unter Kontrolle hat, haut es mit seinem Humor nicht hin bzw. mit dem, was er für lustig hält. Seine Versuche, als Stand-up-Comedian weiterzukommen, sind unfreiwillig mehr peinlich als witzig. Arthur wird in der Folge als Mensch und Person zum Gegenstand von Gelächter und Spott.

Bis dahin hätte das Ganze noch eine tragikomische Ebene, die alte Geschichte vom traurigen Clown, der am Ende allein auf der Wiese mit einer Träne im Auge am Blümchen schnuppert. Das kennen wir aber schon. Und wollen wir das nochmal sehen? Nicht wirklich, oder?

Von Anfang an tritt Arthur wie ein Mensch auf, der ein grosses Schild auf dem Kopf trägt mit der Aufschrift „Gebt’s mir!“ Er lädt andere Menschen dazu ein, sich an ihm abzuarbeiten. Sie bedienen sich an einem Schwachen und Wehrlosen, um sich selber zu erhöhen. Arthur bezieht jede Menge Prügel (physisch und psychisch) und lässt es geschehen. Als Zuschauer möchte man ihm zurufen „Mensch Arthur, nimm doch mal die Arme hoch, Du kriegst ja nur auf die Fresse“. Aber Arthur hört nicht. Er versucht nicht mal, die Schläge abzuwehren. Wie ein umgekippter Sandsack liegt er im Dreck, während andere in Überzahl auf ihn eintreten. Er wäre körperlich auch gar nicht in der Lage, bei einer Prügelei mehr als einen Ehrentreffer zu landen, bevor er endgültig zu Klump geschlagen würde. Also lässt er es. Interessant wird die Alternative „Widerstand“ für ihn erst, als er ungewollt eine Waffe in die Hand bekommt. Es dauert noch ein paar Demütigungen und die letzten Stufen hinab, bis er endgültig das Souterrain menschlicher Würde und Leidensfähigkeit erreicht hat. Und dann geht’s los.

Nun muss er seinen Widersachern nicht mit langem Arm und einer harten Faust begegnen. Ab jetzt gibt es eine Ladung heißes Blei. Und wenn er schon dabei ist, hält er seine Gegner damit nicht bloß auf Distanz, sondern er bringt die Sache ganz zu Ende. Revanchekampf ausgeschlossen. Arthur Fleck - 10 Steps vom Clown zum Killer. Endlich! - durchzuckt es einen und man erschrickt über sich selber. Wie kann man als ziviler Bürger und Gegner von Gewalt einem Mörder auf die Schulter klopfen? Und dennoch möchte man sagen „Gut gemacht, Arthur. Und vergiss nicht, da draussen laufen noch ein paar Arschlöcher rum, die haben es genauso verdient“.

Arthur tötet nicht wahllos. Für jedes seiner Opfer kennen wir den Grund. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass er nun ein Killer ist. Einer, der obendrein beginnt, sich aus der eigenen Biografie und Erfahrung heraus ein Weltbild als Rechtfertigung für sein Handeln zu basteln. Trifft er damit den Nerv seiner wachsenden Zahl an Fans (Follower gab es 1980 - zu der Zeit in der die Geschichte spielt - noch nicht) oder ist Arthur selbst nur das Geschöpf einer anti-gesellschaftlichen Bewegung, die sich in der verkommenden Stadt Gotham City herausbildet? Das kann man diskutieren. In der Wirklichkeit laufen solche Mechanismen ja auch wechselseitig und arbeitsteilig ab. Die Masse sucht immer wieder nach einem Messias. Das Idol wiederum kann ohne die Masse weder werden noch sein. Was war zuerst? Die Henne oder das Ei?

Arthur Fleck jedenfalls wird zum Joker - dem neuen Messias der Gewalt. Und der Mob jubelt ihm zu. Endlich haben sie die Legitimation, es „denen da oben“ mal so richtig zu zeigen. Und spätestens hier ist Schluß mit dem sowieso schon schwierigen Mitgefühl für Arthur. Ein blutiges Perpetuum Mobile aus Tod-Rache-Tod ist in Gang gesetzt. Willkommen in der Steinzeit.

Mit der Wandlung Jokers zu einer Ikone für alle, die den Staat, die „Öffentlichkeit“ und seine Vertreter per se für korrupt und kriminell halten, zieht der Film auch Parallelen zu dem, was wir heute weltweit mit einer gewissen Fassungslosigkeit in der REALITÄT erleben. Politische Bewegungen, die statt Bürokratie den kurzen Prozess, statt Einhaltung von Recht und Gesetz die Lynchjustiz bevorzugen.

Und so wünscht man sich am Ende dann doch, Arthur wäre gleich beim ersten Mal, als er zusammengetreten wurde, liegen geblieben. Aber auch so ein Wunsch ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern obendrein auch völlig naiv. Irgendeinen Arthur, der sich durch sein persönliches Unglück legitimiert sieht, schafft es zu jeder Zeit und an jedem Ort aus der Gosse und findet am Ende sein Publikum.

Als Film beschreibt Joker damit auch einen politischen und emotionalen Teufelskreis. Und so erzeugt er eine Sogwirkung, die einen nicht wegschauen lässt.


"Joker"
Regie: Todd Phillips
Drehbuch: Todd Phillips, Scott Silver
Erscheinungsjahr: 2019
Produktionsand: USA
Länge: 122 Minuten

 

5,5 Punkte auf Peters RuG-Skala

1 = katastrophal
2 = schlecht
3 = geht so
4 = okay
5 = gut
6 = sehr gut
7 = sensationell

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