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Winterbienen

von (Kommentare: 1)

Winterbienen

Egidius Arimond ist Epileptiker, zwangssterilisiert, und kann seinem Beruf als Latein- und Geschichtslehrer nicht mehr nachgehen. Es ist das sechste Kriegsjahr für Deutschland, Anfang 1944. Der Bombenkrieg legt das Land in Trümmer. Während die wehrpflichtigen Männer seit Jahren im Krieg verheizt werden, profitiert Egidius Liebesleben vom Männermangel an der Heimatfront. Die meiste Zeit verbringt er als Imker mit seinen Bienen und nutzt die Bienenstöcke als Versteck und zur Fluchthilfe für jüdische Menschen, die er an die deutsch-belgische Grenze transportiert.

Vielmehr Antiheld geht kaum. Der Kontrast wird noch stärker gezeichnet durch seinen Bruder, der als hochdekorierter Luftwaffenpilot an fernen Fronten im Einsatz ist. Dort dient er treu, tötet und riskiert sein eigenes Leben für eine Heimat, die bald nicht mehr wiederzukennen sein wird.

Die zentralen Fragen, die die Geschichte aufwirft, werden bereits früh deutlich: Wird die Fluchthilfe aufgedeckt und Egidius selber geschnappt? Reicht seine überlebensnotwendige Medizin gegen die Epilepsie aus? Und was, wenn nicht? Wird er möglicherweise Opfer des zunehmenden Bombenkrieges?

Fragen, die für eine gewisse Spannung sorgen, in einer ansonsten unaufgeregt erzählten Geschichte. Das Ende ist dabei erfreulicherweise nicht vorhersehbar. Allerdings ist es auch nicht sonderlich überraschend. Überhaupt liegt der Genuss des Buches vielmehr in der Sprache als in einem mitreißenden Plot. Es ist streckenweise sehr poetisch und durchgehend mit einer ungewohnten Leichtigkeit geschrieben. In Form von Tagebucheintragungen bietet der Erzähler seine Schilderungen in wohl portionierten und genießbaren Häppchen an. Der fragmentarische Tagebuch-Stil unterstützt dabei die kaleidoskopartige Beschreibung des Kriegsalltages in der Provinz.

Leider verzettelt sich der Autor ein wenig mit Einschüben zu einem frühen Verwandten des Protagonisten, einem Mönch namens Ambrosius Arimond. Der kam Vierzehnhundertirgendwann in die gleiche Gegend und begann dort mit der Bienenzucht. Das trägt zur eigentlichen Geschichte nichts bei. Vielmehr lenken diese Abschweifungen in die Vergangenheit nur unnötig ab und verlangsamen das Tempo des sowieso schon gemächlich erzählten Werks in einer Weise, dass man es immer wieder mal zur Seite legt.

Das Buch ist also kein „page turner“, den man nicht mehr aus der Hand legen kann. Aber ich bin gerne wieder eingestiegen und habe mich dann schnell wieder in der Geschichte zurechtgefunden. Letztendlich will man dann doch wissen, wie es Egidius am Ende ergehen wird.

Die Spannung baut sich dabei eher langsam und beiläufig auf und lässt den Leser auf mehr hoffen, als zum Schluss eingelöst wird. Mit dem kriegsbedingten Ende der Fluchthilfe erledigt sich auch der größte Teil der äußeren Spannung. Abschließend dreht sich alles um das Innenleben des Protagonisten und seine durch Medikamentenmangel verursachten, immer schlimmer auftretenden Krämpfe.

Am Ende versucht der Autor, den Leser in eine Art literarischen und sprachlichen epileptischen Anfall zu führen, indem er Realität und Wahnvorstellungen des Protagonisten zu einem unauflösbaren Ganzen verschmelzen lässt. Keine ganz einfache Aufgabe, die mich - nach der gemäßigten Tonart zuvor - etwas irritiert hat. Sprachlich ist das der kraftvollste Teil des Buches. Allerdings brennt er ab wie das finale Feuerwerk nach einer Party. Außer einem kurzfristigen Flimmern vor den Augen bleibt davon nichts übrig.

Alles in allem bietet das Buch ein angenehmes Lesevergnügen. Es ist gut erzählt und lässt sich leicht lesen. Stark ist es vor allem da, wo der Autor am Thema bleibt und sich liebevoll und mit großer Sachkenntnis seinen Bienen widmet. Die Beschreibungen der Bienenvölker, ihrer Organisation als kollektiver Organismus, ihr Werden, die Arterhaltung, Sterben und Erneuerung ziehen dabei sehr subtil und lakonisch und ohne moralischen Zeigefinger Parallelen zur untergehenden „Volksgemeinschaft“ Deutschlands. Die dazu nötigen Menschen, mit denen Egidius zu tun hat, sind ebenfalls fein, eindringlich und glaubhaft beschrieben und bieten meisterhafte Miniaturen und Charakterisierungen aus dem menschlichen Zusammenleben.

„Winterbienen“ landete auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Ich wette 1.000 Euro, dass das Buch in Deutschland verfilmt wird. Die Mischung „Außenseiter, Nazizeit, Widerstand, Krankheit und Liebe“, ist einfach zu verlockend, als dass sich ein deutscher Produzent dies entgehen ließe. Offen bleibt, ob die Geschichte dann zu einer mehrteiligen TV-Schmonzette degradiert oder durch einen Film mit Chance auf einen Auslands-Oskar geadelt wird.


„Winterbienen“. Autor: Norbert Scheuer; 319 Seiten.

 

5 Punkte auf Peters RuG-Skala

1 = katastrophal
2 = schlecht
3 = geht so
4 = okay
5 = gut
6 = sehr gut
7 = sensationell

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Kommentare

Kommentar von Gitte |

Hallo ihr lieben Beide! Zu dem Buch kann ich nichts sagen. Aber zu euren wunderschönen Bildern und erlebten Geschichten - einfach: Danke, weiter so! Ich bin schon sehr gespannt auf eure face-to-face-Berichte, egal wann und wo (vielleicht in unserem Dorf. der Termin rückt immer näher, und meine Nervosität auch, dass wir es zeitlich nicht schaffen... Fühlt euch ganz herzlich umarmt. Gitte und Paul

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