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von Peter Schäfer (Kommentare: 4)
Niedlich. Wie sie dasitzen. Sieben dunkelbraune Welpen. Auf weißem Sofa. Einer kuscheliger als der andere. Und so große, traurige Augen. Neben dem riesigen Foto im Schaufenster informiert ein Plakat mit vielen unterschiedlichen Hundeportraits, was hier Sache ist: „Hunde-Casting 2023“. Darunter werden Hundebesitzer zur Teilnahme eingeladen. Eine Jury sucht monatlich den „treuesten, frechsten, einzigartigsten, liebsten und fotogensten“ Hund des Monats aus. Dieser Hund kommt in den Jahreskalender 2024. Und von einem Fachgeschäft für Hunde gibts für Frauchen oder Herrchen einen Gutschein im Wert von 50 Euro obendrauf.
„Willst du da nicht mitmachen?“ fragt die Rote.
„Als Dackel aufm Sofa?!“
„Quatsch! Das hier!“ Sie zeigt in das danebenliegende Schaufenster. Dort hängt ein großes Plakat voll mit menschlichen Portraits. Auf den ersten Blick erinnert es mich an ein Fahndungsplakat der Polizei. Jede Menge unbekannte Gesichter. Was haben die wohl verbrochen? Außer dass sie ziemlich alt aussehen? Der Text zu den Bildern löst das Rätsel. Dort steht nicht „Die Kriminalpolizei sucht“. Über den Portraits steht „Best Ager“. Einer von diesen neumodischen Begriffen, die sich vermeintlich nonchalant über den natürlichen Lauf der Dinge hinwegsetzen wollen. Dabei ändern sie aber nicht das Zwangsläufige, sondern kaschieren es bloß. In diesem Fall: alt werden.
Best Ager also. Bestens gealtert? So wie „gut abgehangen“?
Beste Alte? Die Besten in was?
Wie übersetzt man das vernünftig ins Deutsche? Gemeint ist wohl: Menschen im besten Alter. Wie gesagt, netter Versuch, die zunehmenden Falten zumindest semantisch glattzuziehen.
Es ist keine Werbung für eine Krankenversicherung. Und auch nicht für die Grauen Panther. Nicht für Zahnprothesen, Stützstrümpfe oder betreutes Wohnen. Es handelt sich um den Aufruf zu einem Casting. Wie bei den Hunden nebenan. „Best Ager Casting 2023“. Nun gut. Es gibt für Menschen in unserem Alter schlimmeres, als mit niedlichen Tieren zusammen ausgestellt zu werden.
„Wir suchen neue interessante, skurrile, einzigartige, extravagante, dicke, dünne, lustige Frauen und Männer zwischen 45 und 95 Jahren. Sie sollten Spaß beim Fotografieren haben oder sogar eine Karriere als Fotomodel, Statist oder Werbegesicht anstreben.“
„Mach da mit! Du bist ein Typ!“, höre ich die Gemahlin sagen, während mich 30 Typen vom Plakat herab anschauen. Mindestens 29 davon finde ich interessanter als mein eigenes Angesicht.
„Das Fotoshooting ist kostenlos und das Juryfoto erhalten Sie als Datei. Eine Jury wählt am Aktionsende 3 Gewinner aus. Gewinnen können Sie ein professionelles Modelshooting im Wert von 1999€. Zusätzlich werden Sie in die Modelagentur SMB Siegel Models Berlin aufgenommen.“
Kostenlos. Immerhin. Die Einladung hängt im Schaufenster des Fotoateliers der Familie Urbschat. Berliner Urgestein und über Deutschland Grenzen bekannt und geschätzt. Promis aus aller Welt haben sich hier in gutes Licht setzen lassen (www.fotostudio-urbschat.de/urbschat-news).
Bevor das Für und Wider zu diesem Angebot ausreichend erörtert ist, zerren mich die energischen Hände der Gemahlin in den Verkaufsraum der Profifotografen. Schnell ist ein Termin gemacht. „Eine Stunde Zeit. Drei unterschiedliche Outfits“. Drei!? Wo soll ein Mann in meinem Alter, ohne Affinität zum Karneval, die herkriegen? Kostümverleih?
„Ich such Dir was raus. Ich stell Dir was zusammen!“ trällert die Rote so vorfreudig, als wenn sie selbst vor der Kamera posieren wollte und es kaum abwarten könnte. „Aber nicht wieder blau-weiß gestreift“ liegt es mir auf der Zunge. Ich halte die Worte zurück und schlucke sie tapfer herunter wie bittere Medizin. Nicht schon wieder diese Diskussion. Nicht jetzt.
Wenige Tage später mache ich mich allein mit einer Riesentüte voll Klamotten auf dem Weg. Ausnahmsweise nicht zum Altkleider-Container.
Von den Wänden des Urbschat-Ateliers sehen prominente Augen zu, wie ich zunächst einige Formalitäten kläre und anschließend im eigentlichen Aufnahmeraum verschwinde.
Und dann kommt es mir vor, als hätte ich ein Leben lang nichts anderes getan als vor Kameras zu stehen. Was natürlich nicht stimmt. Höchstens ein bisschen. Tatsächlich hatte ich in den 1970er Jahren während meiner Studienzeit in Hamburg ein paar Fotos von mir bei der Künstlervermittlung des Arbeitsamtes hinterlegt. Über die Jahre resultierten daraus einige Aufträge als Komparse und Kleindarsteller für Film, Fernsehen und Werbung. Meistens hing man dabei mit ein paar anderen Leuten einen Tag lang irgendwo in der Kulisse rum. Wurde verpflegt, ab und zu irgendwo hingestellt und ansonsten in Ruhe gelassen. Dafür gab es 50 bis 70 D-Mark Aufwandsentschädigung. Damals gutes Geld.
Manchmal war ich auch nah genug dran an echten Promis wie z.B. Wolfgang Kieling, Sascha Hehn, Wolfgang Staudte, Wolfgang Bathke, Evelyn Künneke - um zu sehen, dass auch die nur Menschen aus Fleisch und Blut waren.
Meine letzten Unsicherheiten verfliegen, als Fotografin Isabela mit der Kamera erscheint. Ich trage ein T-Shirt, das ich in Amazonien während unserer Brasilienreise gekauft hatte. Die entzückende Isabela ist entzückt. Sie stammt aus São Paulo. Das Eis ist gebrochen. Nach kurzem Small Talk über ihr wundervolles Heimatland wird es förmlich. Ihre Ansagen sind kurz und klar, sowohl was die Kleidung angeht als auch das Posing für die Aufnahmen. Isabela weiß, was sie will. Und ich lasse mich rumkommandieren. Fast wie zu Hause. Diesmal allerdings mit fotografieren.
Mit Jackett. Und ohne. Mit Brille. Und ohne. Mit Hut. Und ohne. Lächeln. Ernst. Nachdenklich. Kann ich alles. Die Stunde vergeht wie im Fluge. Isabela ist zufrieden. Ich auch. Schwieriger wird es bei der anschließenden Entscheidung für das EINE Bild, das der Jury vorgelegt werden soll.
In die Endauswahl schaffen es über 40 Fotos, auf denen ich in drei unterschiedlichen Outfits vor verschiedenen Hintergründen abgelichtet bin. Ich finde, dass man die alle durchaus vorzeigen kann. Es droht ein klassisches Dilemma. Egal, welches Bild den Zuschlag erhält, es wird gleichzeitig die richtige und dennoch falsche Entscheidung sein.
Da hilft nur, taktisch vorzugehen. Eigene Befindlichkeiten ignorieren und den Zweck der Aktion im Auge zu behalten. Da es sich hier weder um Passfotos noch um eine Bewerbungsmappe für einen Bürojob handelt, sollte egal sein, wie ich mich selbst finde. Vielmehr gilt es ein Bild zu wählen, mit dem ich mich am ehesten aus dem Reigen der Mitbewerber absetzen kann. Es wird eines mit Hut (den ich nie trage) und ohne Brille (die ich dauernd aufhabe), gestützt auf ein altes Weinfass (ich trinke keinen Wein mehr).
Zu Hause betrachtet die Rote verliebt das Foto und ist sehr einverstanden. Jetzt heißt es abwarten. Als ewiger Lotto-Verlierer und Glücksspiel-Vermeider weiß ich meine statistischen Erfolgschancen so einzuschätzen, dass ich in keine Lebenskrise stürze, wenn ich am Ende nicht zu den drei Auserwählten gehören werde. Die Angetraute will davon nichts hören und wischt alle Zweifel vom Tisch. Sie hat soeben die Bestellung bei einer Online-Druckerei ausgelöst: Autogrammkarten.
Kommentare
Kommentar von Maxi |
Rattenscharf!
Aber, sorry, es ist NICHT Peter, wie er leibt und lebt.
Kommentar von Dieter Buhrau |
Ich habe es doch schon mal erwähnt Pjotr, Du bist ein Typ ! Die Fotografin hat gewusst dass Du den ersten Platz machen würdest wenn Du diesen bescheuerten Hut "nicht" auf hast. Irgendein Kerl hatt ihr Geld gegeben damit DU den Hut aufsetzt.
Wenn ich in der Jury sitzen würde, müsstest Du genau den Hut zum Almosen sammeln benutzen, bis Du die € 1999,- zusammen hast. Sorry Pjotr, Du bist nicht so ein weichgespülter wie auf dem Foto. Dann melde Dich wieder beim Kündtlerdienst des Arbeitsamtes an, da verdienst Du mehr als "echter Typ" der Du wirklich bist.
Kommentar von Sabine |
Eindeutig der nächste Tatort Kommissar. (-:
Kommentar von Roya Ahmadi |
Ich würde doch lieber meinen Dackel anstatt meinen Mann schicken oder doch besser umgekehrt…. Wer die Wahl hat hat die Qual….:-)
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