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Fjordland

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Wie Krallen eines wilden Tieres haben sich mehrere Eiszeiten bis tief in das Landesinnere Norwegens eingegraben. Immer wenn sie sich zurückzogen, hinterließen ihre riesigen Gletscher unheilbare Wunden in der Oberfläche. Sie sind bis heute nicht vernarbt und dominieren die norwegische Landmasse: Fjorde.

Die atemberaubende Natur erinnert uns abwechselnd an die Schweiz, Neuseeland oder Alaska. Doch die pittoresken Fjorde sind für den norwegischen Verkehr ein zweischneidiges Schwert. Bereits kurz hinter Stavanger ist klar, dass wir Ålesund erst am Abend erreichen werden. Wenn wir durchfahren. Durchschnittlich legen wir 60 bis 70 Kilometer in der Stunde zurück. Bedingt durch das Tempolimit, die realen Straßenverhältnisse und immer wieder unterbrochen durch Fährbetrieb. Immerhin ist es faszinierend zu erleben, wie nahtlos das funktioniert. Wir fahren aufs Schiff, eine Person hält uns ein Handy entgegen. Wir antworten mit einer Kreditkarte. Der Fährmann setzt über.

Überhaupt begegnet uns das Leben der Menschen in dieser archaischen Landschaft hochmodern. Viele der Fähren fahren mit Elektroantrieb. Auf den Straßen sind auffällig viele schwere und teure E-Fahrzeuge deutscher Hersteller unterwegs. Alle mit norwegischen Kennzeichen. Norwegen ist schon lange nicht mehr das Armenhaus Europas, das es einst war. Dem Erdöl vor seiner Küste sei Dank.

Ihre preisgünstige Elektrizität erzeugen die Norweger allerdings zu 88% aus Wasserkraft. Wind trägt mehr als 9 % bei. Fossile Brennstoffe wie Gas machen nur etwa 1,6 % aus. Elektromobilität ist hier längst keine Zukunftsvision mehr. Überall finden wir E-Zapfsäulen in ausreichender oder gar größerer Zahl als die für Benzin. Wir beginnen uns Sorgen zu machen, ob es hinterm Polarkreis noch genug bösen Sprit für unseren kleinen Flitzer gibt. Vielleicht sollten wir in ein paar volle Reservekanister investieren.

Es ist bereits Nachmittag, als wir auf halber Strecke nach Ålesund unsere Fahrt unterbrechen. Førde ist ein gesichtsloser Ort. Eine auf dem Weg nach Norden zurückgelassene Durchgangsstation. Wir brauchen nur ein Bett.

Noch ist es einfach für uns, Unterkünfte zu bekommen. Altersgemäß bevorzugen wir Einzelzimmer. Dank der Jahreszeit – Vorsaison – hat booking.com immer was in petto. Das reicht von Hotel über mondänes Ferienhaus bis zur besseren Hundehütte. Nicht immer haben wir eine Wahl. Doch immer sind wir froh, nicht im Auto übernachten oder sehr teure Hotelzimmer buchen zu müssen.

In Førde bekommen wir für kleines Geld ein halbes Haus inklusive Küche und Wohnzimmer. Schwieriger wird die Suche nach Essbarem. Das Land ist überzogen mit Läden, die Pizza, Burger und Pölser – die unvermeidlichen Würstchen - in jeder denkbaren kulinarischen Ummantelung anbieten. Die verschlagen auf Dauer nicht nur eingefleischten Vegetariern die Sprache und erst recht den Appetit. Grünzeug, Salat oder Rohkost als Andeutung einer mediterranen Küche sehen wir während unserer Reise eher auf Umschlägen von Kochbüchern als auf Speisekarten. Ebenso verirrt sich auffallend wenig Fisch in die Gastronomie. Fast scheint es, als hätten die Norweger ihrerseits keine große Lust mehr auf die Früchte des Meeres.

Am nächsten Tag geht die Fahrt durchs Bilderbuch weiter. Irgendwie immer gleich und doch ständig anders. Ein unerklärliches Heimatgefühl stellt sich ein. Ein Gefühl von Geborgenheit. Ausgerechnet in einer Umgebung, die es den Menschen nie leicht macht. Aber vielleicht ist genau das der Grund dafür. Wasser, Berge und Wälder befinden sich noch immer in unseren Genen. Hier ist es, wie es immer war. Bevor sich irgendwann Stahl, Glas und Beton in unserem Erbgut festgesetzt haben, vergehen hoffentlich noch ein paar tausend Jahre.

Wir erreichen Ålesund früh genug, um nach stundenlangem Sitzen im Auto endlich die müden Knochen in Schwung zu bringen.

Zu Fuß geht es rauf auf den 190 Meter hohen Aksla, mit einem grandiosen Überblick auf die Stadt und die sie umgebende Küstenlandschaft. Dabei machen wir Kaiser Wilhelm II. bzw. einem ihm zu Ehren aufgestellten Obelisken die Aufwartung. Der Monarch präsentierte in Norwegen 1904 Deutschland von seiner besten Seite. Zuvor war die Innenstadt Ålesunds fast völlig von einem Großfeuer zerstört worden. 850 Gebäude blieben als Aschehaufen übrig. 10.000 Einwohner von insgesamt 11.000 wurden in einer Nacht obdachlos. Willem Zwo sandte umgehend mehrere Hilfsschiffe mit Baumaterial, Lebensmitteln und medizinischem Personal. Später erfolgte der Wiederaufbau nicht mehr mit Holz, sondern als Steinbauten im Jugendstil.

Dass keine 40 Jahre später Deutschlands kleinkarierte Nazi-Strategen auch das deutsch-norwegische Verhältnis dem germanischen Größenwahn opferten, hat der Reputation des alten Kaisers offensichtlich nicht geschadet.

Zum Abschluss eines langen Tages knallen wir uns in einer renovierten Wohnung in einem abgeranzten Haus auf das niegelnagelneue Sofa und schauen Sonnenuntergang. Der war auf dem Buchungsportal vollmundig versprochen. Und so wird er auch geliefert. Alles im Preis inbegriffen. Wir sind zufrieden.

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