Elefantös
von Peter Schäfer (Kommentare: 1)
Von einer Sekunde auf die andere liegt Swakopmund hinter uns. Ohne Vorwarnung endet die Stadt - und die Wüste beginnt. Allein der Atlantik zur Linken erinnert uns für die nächsten 80 Kilometer noch an unseren Aufenthalt im Seebad. Zwischendrin haben die Namibier kurzerhand ein 2008 havariertes Schiff zur Sehenswürdigkeit deklariert. Ansonsten ist hier nicht viel, außer kontrastarmer Landschaft.
In Henties Bay nehmen wir einen letzten Kaffee und biegen danach ab Richtung Nordosten, zurück ins Landesinnere. Nur fünf Minuten später liegt auch das Meer hinter uns - und vor uns breitet sich einmal mehr Landschaft aus, die eher selten mit Wasser in Berührung kommt.
Die Luft flimmert über der Straße, die hier in einem erstaunlich guten Zustand ist: durchgängig asphaltiert und relativ neu. China sei Dank. Wir haben unterwegs bereits erfahren, wie sehr sich die Chinesen auch in Namibia engagieren. Große Infrastrukturprojekte und fortschreitender Ausbau des Verkehrsnetzes zeugen davon.
Wie überall ist die chinesische „Entwicklungshilfe“ auch in Namibia nicht selbstlos. Chinas Leistungen werden über Darlehen abgewickelt. Namibia tritt unter anderem wertvollen Lizenzen für Fischerei, Schürfrechte und großzügig Firmenbeteiligungen ab. Dass man darüber hinaus auch alles andere abzusegnen hat, was China politisch verfolgt und für richtig hält, versteht sich von allein. Natürlich werden bei diesen Deals sehr schnell die großen Fortschritte und Erfolge sichtbar, zum Nutzen für das jeweilige Land. Aber aus anderen Ländern, in denen China mit ähnlichen „Wirtschaftsplänen“ aktiv geworden ist, weiß man inzwischen, dass die dicke Rechnung erst zum Schluss kommt. Auf dem dünneren Ast sitzt dann immer das betroffene Land. So funktioniert Weltwirtschaft heute eben, könnte man sagen. Eigentlich wäre der Begriff Neo-Neokolonialismus treffender: Besitzergreifung und Enteignung ohne Blutvergießen.
Bald erhebt sich aus dem Dunst vor uns der Brandberg. Das über 2.500 Meter hohe Bergmassiv bestimmt das Damaraland, in das wir uns immer weiter hineinbewegen. Dass diese Erdformation seit jeher Spielplatz und Fundgrube für Geologen, Mineralogen, Geophysiker und Chemiker ist, erfahren wir, als sich über einige Kilometer hinweg die kargen Straßenränder beleben.
Ein Outlet für Steine und Mineralien tut sich auf, die den Durchreisenden zum Kauf angeboten werden. In der Saison scheint das hier ein Bombengeschäft zu sein. Anders ist die große Zahl an Verkaufsständen nicht zu erklären. Konkurrenz ohne Ende. Auch wenn zu dieser Jahreszeit eher tote Hose herrscht. Die Angetraute lässt es sich nicht nehmen, die Auslagen genauer unter die Lupe zu nehmen. Angesichts der unsicheren Ausführungsbestimmungen von solchen Naturalien oder anderen Naturprodukten lässt sie aber lieber die Hände davon.
Das stundenlange Fahren in der Hitze, inzwischen wieder auf Schotterpiste, ist ermüdend. Ein Warnschild der besonderen Art reißt den Fahrer aus seiner Lethargie: Elefanten. Wo die in dieser Landschaft sein sollen, ist unklar. Verstecken ist hier unmöglich und wenn sie sich nicht von Sand ernähren, müssen sie in Rekordgeschwindigkeit verhungern. Von Wasser, das hier weit und breit nicht zu sehen ist, ganz zu schweigen. Ist das Schild möglicherweise nur ein Marketing-Gag der namibischen Tourismusbehörde?
Ist es nicht, wie wir wenig später erfahren sollen.
Wir halten an einem kleinen Verschlag an, unter dem ein paar Menschen Schatten suchen. Zwei Herero-Frauen in ihren leuchtenden Trachten stehen dort mit vier Kindern. Die ältere, Patricia, erzählt uns, dass sie 36 Jahre alt sei. Die vier Kinder, die um uns herumwuseln, seien ihre eigenen. Das jüngste gerade zwei 2 Monate alt. Sie selbst sei hier im nahegelegenen Ort Ugab geboren und aufgewachsen. Zeit ihres Lebens habe sie die Gegend nicht verlassen. Eine Schule habe sie nie besucht.
Patricia spricht drei Sprachen. Otjiherero, englisch und afrikaans. Wie alles andere, was sie hier zum Leben benötigt, hat sie auch die sich selbst beigebracht. Sie lebt davon, dass sie handgefertigtes Kunstgewerbe aus ihrer Gemeinde an Menschen wie uns verkauft.
Die vierfache Mutter erzählt mit einem umwerfenden Lachen und herzerwärmend charismatisch. Etwas schüchterner ist die 19-jährige Victoria. Ein bildhübsches Mädchen, das vermutlich einer ähnlichen Zukunft entgegenblickt wie ihre ältere Freundin.
Uns interessiert, wie es hier mit der Wasserversorgung läuft und erfahren, dass sich die Menschen aus dem Fluss versorgen, und zwar aus Brunnen oder Wasserlöchern, wenn wir es recht verstehen. Wasser steht hier zurzeit in keinem Flussbett. Patricia merkt an, dass sie bei der Wasserentnahme in direkter Konkurrenz zu den Elefanten stünden, die sich ebenfalls aus dem Fluss versorgen würden.
Noch während wir beim Thema sind, parkt ein Eselskarren neben uns – ein gängiges Transportmittel in dieser Gegend. Ein junger Mann liefert der kleinen Gruppe frisches Trinkwasser. Wir werden den Eindruck nicht los, dass er und Victoria sich ziemlich gutfinden. Der junge Kutscher sieht aber auch fesch aus. So hübsch die zwei auch anzuschauen sind, uns fehlt jede Vorstellungskraft, wie sie hier die nächsten 30 Jahre leben werden. Wie und ob sie dabei glücklich sein werden.
Endlich erreichen wir unser Tagesziel in der Nähe der Stadt Khorixas, mitten im Damaraland. 250 km Fahrt strengen hier so an wie acht Stunden auf einer deutschen Autobahn. Eine neue gleichnamige Lodge bietet Unterkunft. Es ist eine Oase in der Steinwüste. Feines Essen aus dem Restaurant, Swimmingpool, Aircondition.
Als ich vor über 30 Jahren mit einem befreundeten Geologen durch diese Gegend gefahren bin, hatte nicht mal unser Auto eine Klimaanlage. Komfortable Unterkünfte zu finden war unmöglich. Es gab sie nicht.
Eine weitere Tagesfahrt und eine Übernachtung liegen noch vor uns, bevor wir durch den westlichsten Eingang in den Etosha Park fahren wollen. Die Nacht davor verbringen wir in der Hobatere-Lodge. Wir sind durch Zufall auf sie gestoßen. Sie wird sich schon bald als ein weiterer Hauptgewinn unserer Reise entpuppen.
Nachdem an der Einfahrt ein Schild ausdrücklich davor warnt, bis zur Ankunft an der Unterkunft das Auto zu verlassen, geht es 16 Kilometer weit über eine Sand- und Buckelpiste, mitten durchs Wohnzimmer aller Arten von wilden Tieren. Wir sind froh, als wir nach 40 Minuten schließlich das Camp erreichen. Eine idyllische Ansiedlung mit 18 kleinen Häuschen und einem Gemeinschaftskomplex.
Wir sind die einzigen Gäste. Alle Angestellten sind da, um ausschließlich uns eine gute Zeit zu bereiten. Es ist unbeschreiblich: Paradiesisch. Die Ruhe. Die Aufmerksamkeit und Freundlichkeit des Personals – und der absolute Hammer: wir haben unseren eigenen Koch. Makarius kocht nur für uns zwei. Der Chronist ist gerührt. Die Frau nickt anerkennend. Auch sie freut sich, obwohl sie diesen Service seit der Vermählung bereits von zu Hause kennt.
Wir haben das Auto gerade geparkt, da fällt uns unter einem fernen Baum ein Haufen Grauzeug auf. Als sich der Haufen bewegt, ist klar: Elefanten!
Von der Terrasse aus sehen wir zu, wie sich immer mehr von den großen Tieren im Gelände vor uns verteilten. Allein oder zu zweit durchlaufen sie das Areal, verlieren sich dabei aus den Augen, fressen, plätschern am Wasserloch. Und verziehen sich dann wieder. Das alles wirkt wie eine lose Ansammlung von Dickhäutern, die sich hier irgendwie zufällig getroffen haben.
Am Abend kommt es schließlich zu einer ganz besonderen Vorstellung. Selbst die Angestellten der Lodge sind außer sich vor Aufregung, als sich die Elefanten bis auf Rüssellänge dem Zaun nähern, der uns Menschen vor der Gefahren Afrikas bewahren soll. Unmittelbar vor unseren Augen und Ohren mampfen und schmatzen sie das saftige Grünzeug von Büschen und Bäumen.
Später, als es bereits dämmert, sammeln sich die Tiere. Was bislang wie eine unverbindliche Gruppierung aussah, entpuppt sich nun als Herde. Kein Einzelgänger trollt mehr herum, niemand ist mehr mit Extrawurst unterwegs. Vermutlich sammeln sie sich, um gemeinsam im Schutz der Gruppe die Nacht zu verbringen.
Plötzlich dröhnt ein dunkles, gurgelndes Grollen durch den Busch. Für den landesunkundigen Europäer ganz klar: Löwengebrüll. Für die einheimischen Angestellten ganz klar: Elefantengeräusche. Schließlich ertönen kurz hintereinander zwei spitze, energische Trompetengeräusche. Definitiv Elefant. Das Signal zum Aufbruch, wie sich sofort zeigt.
Behäbig, aber zügig und in geschlossener Formation bewegt sich die gesamte Gruppe in eine Richtung – leider von uns weg. Vorweg das Leittier in Begleitung eines weiteren älteren Elefanten. In der Mitte der Kindergarten und die Jugendabteilung. Den Schluss bilden die drei kräftigsten Tiere der Herde. Sie sichern die kleine Karawane nach hinten ab und sorgen dafür, dass sich niemand nach links oder rechts verliert. Obwohl sie bereits weit von uns entfernt sind, ist es ein bewegender und anrührender Anblick. Und dann sind sie weg. Die Landschaft hat sie verschluckt
Als wir am nächsten Morgen aufwachen, ist weit und breit kein Elefant in Sicht. Ein bisschen traurig, aber sehr glücklich über das, was wir gestern erleben durften, rollen wir nun aufs nächste Ziel zu: den Etosha Nationalpark.
Kommentare
Kommentar von Klaus |
Tolle Story und bewegende Bilder! Dafür legt man jeden Thriller mal zur Seite ...
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