Ein Schiff in Bethlehem
von Peter Schäfer (Kommentare: 0)
Nur dreieinhalb Flugstunden trennen uns von dem eigentlichen Grund unserer Reise: dem Expeditionsschiff HANSEATIC spirit. Es wartet auf uns in der Stadt Belém, zu deutsch Bethlehem.
Der Sonderflug von Sao Paulo dorthin ist ausschließlich mit Reisenden besetzt, die für die nächsten Wochen gemeinsam in einem Boot sitzen werden. Alle sind gespannt auf diese Expedition entlang des Amazonas, die wegen COVID einige Jahre in der Warteschleife verbrachte.
Als die Maschine in den Sinkflug auf Belém übergeht, trauen wir unseren Augen kaum. Eigentlich hatten wir eine verpeilte Ortschaft mittlerer Größe erwartet, die sich an die brasilianische Küste schmiegt und irgendein besonderes Flair ausstrahlt als Vorgeschmack auf den Amazonas.
Was wir stattdessen vor der Landung aus der Luft zu sehen bekommen, ist eine kaum überschaubare, hell leuchtende Fläche. Wie Betonspargel wächst die Stadt an der Baía de Guajará in den Himmel. Nicht der kleinste Hinweis auf Regenwald.
Belém ist die Hauptstadt des Bundesstaates Pará, der nach Westen hin an den Bundesstaat Amazonas grenzt. Rund 1,5 Mio. Einwohner leben in der Stadt, die - neben Manaus - die wichtigste des brasilianischen Amazonasgebietes ist. Das macht sie für uns auf den ersten Blick aber auch nicht schöner. Während der Busfahrt zum Hafen, die durch die Problemzonen der Stadt führt, versucht der lokale Reiseleiter Franklin daher, seine Heimatstadt so gut es geht zu verkaufen und anzupreisen. Wir hören interessiert zu, während unsere Gedanken bereits an Bord des Schiffes sind.
Endlich erreichen wir das Ziel. Es blitzt Blau und Orange aus der eintönigen Hafenkulisse: unser Schiff.
Ankunft und Begrüßung auf der Gangway fühlen sich wie immer nach „Heimkehr“ an. Die familiäre Atmosphäre an Bord der kleinen Schiffe von Hapag Lloyd ist eines von vielen Erfolgsrezepten dieser Reederei.
Die Rote übernimmt sofort den Kabinenhaushalt und schickt den Gemahl auf Außenerkundung. Anschließend weist sie ihn in Organisation, Abläufe und Verhalten, inclusive Schrankordnung, während der Reise ein, insbesondere in Kabine 522.
Der Graue lässt es über sich ergehen, wie den tausendmal praktizierten Sicherheitsdrill an Bord, der jedem Ablegen vorangeht, und ist dabei mit den Gedanken ganz woanders. Zum Beispiel bei der Frage, wo Kochmaus wohl sein könnte. Seit Sao Paulo ist sie nämlich verschwunden. Es besteht begründeter Anlass zur Hoffnung, dass sie es nicht an Bord geschafft hat. Jetzt muss das Schiff nur noch ablegen, bevor die Rote ihre freche Reisekumpanin vermisst – dann könnte es eine schöne Reise werden.
Zum Abschied wummert ein Party-Schiff unter Techno-Getöse nur einen Flaschenwurf entfernt an uns vorbei.
Es dämmert bereits, als die Hanseatic das Pier verlässt. Wenige Minuten später ist es bereits dunkel und wir gleiten an der hell beleuchteten Stadt vorbei, die mit ihrer Skyline ein bisschen auf dicke Hose macht, New York für Arme.
Mit 200 Passagieren ist diese Fahrt ausgebucht. Die verteilen sich großzügig über das Deck. Voll fühlt sich anders an. Und genauso mögen wir das.
Die Lichter der Großstadt ziehen gemächlich vorbei, werden ständig weniger und bald ist es nur noch dunkel. Kein Licht bietet mehr Orientierung. Selbst durchs Fernglas sieht die Rote schließlich nur noch schwarz.
Gemeinsam hoffen wir auf jede Menge Grün, das morgen in Hülle und Fülle auf uns warten soll. Dann fahren wir durch die Breves Kanäle, die uns zum Amazonas-Fluss hinaufführen sollen.
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