Die Wüste grüsst
von Simone Keil (Kommentare: 2)
Als ich ein Kind war, lief im Kino der Film „Durch Wüste und Dschungel“, in dem im letzten Jahrhundert zwei Kinder in der sudanesischen Wüste entführt werden und sich nach ihrer Flucht ganz allein durch die ungewohnte Umgebung schleppen, dabei auf allerhand Abenteuer stoßen und kurz vor knapp von ihren suchenden Eltern gefunden werden. Am Ende trägt Stas, der halbwüchsige polnische Held, seine kleine fiebernde Freundin Nel durch den Standsturm in die Arme ihrer Mutter. Ende gut, alles gut. Ich liebte den Film, hab ihn im Kino (in dem ich seinerzeit fast wohnte) mehrere hundert Mal gesehen und konnte nicht genug davon kriegen.
Daran denke ich, als wir heute, mindestens 100 Jahre später, mit unserem klimatisierten Allradauto durch die namibische Wüste düsen. Vor uns zieht ein dunkles Gewitter auf, auf das wir direkt zufahren, und Blitze erhellen die bizarre Landschaft. Umkehren oder abbiegen ist leider nicht möglich. Es gibt schlichtweg nur einen Weg. Rechts und links Wüste, in der Ferne Berge. Und dann öffnet der Himmel seine Schleusen, und der Graue schreit „Festhalten!“, bevor er durch eine vom Wasser überflutete Senke fährt. Auch hier gibt’s keine Alternative. Das Wasser spritzt rechts und links vom Auto hoch. Der Graue amüsiert sich köstlich, und ich klammere mich schweißgebadet an den Haltegriff. Die Ränder der Straße verwandeln sich in Minutenschnelle in reißende Ströme, die in jeder Senke die Straße überqueren, und von denen man nicht weiß, wie tief sie sind. Bevor ich jedoch meine Bedenken herausschreien kann, brettert der Graue schon durchs nächste Wasserloch.
„Da vorne wird’s schon wieder hell!“, schreit er - und gibt Gas. Ich kneife die Augen zu und halte die Luft an.
Und irgendwann sind wir durch.
Die wunderschönen roten Ausläufer der Wüste Namib liegen vor uns wie auf einer kitschigen Postkarte. Das Auto, welches eine Handvoll kleiner Jungs an der letzten Tankstelle vor einer Stunde gewienert hatten, sieht aus wie Sau. Der Graue lacht und freut sich, und fragt allen Ernstes: „Ich hoffe, Du hast ein paar brauchbare Fotos gemacht?!“
Doch der Reihe nach:
Am letzten Donnerstag wollten wir gemütlich von Berlin nach Frankfurt fliegen, und von dort am Abend nach Windhoek, Namibia. Am Dienstag wurde der Streik der Flughäfen verkündet. Der BER war mal wieder erster mit der Absage. Alles wurde um einen Tag verschoben. Bis dahin kein Problem. Statt über den ungeliebten BER fuhren wir jetzt mit dem Zug nach Frankfurt. Es klappte reibungslos, so dass wir uns freuten, in all dem Chaos nur einen Urlaubstag zu verlieren. Sei’s drum.
Als wir am Morgen in der namibischen Hauptstadt landeten, regnete es leicht. Einen Moment lang schauten wir durchs Flugzeugfenster auf einen einzelnen Traktor, der auf dem Rollfeld stand. „Ooooorrr neeee“, dachte ich, „nicht die schon wieder...“. Aber der wollte nur spielen, bzw. seinen Job machen: Unsere Koffer ausladen.
Mit großer Vorfreude nahm der Graue unseren Mietwagen entgegen. Ein herrliches Spielzeug für ihn. Er ging um das Riesenteil herum und ließ sich alles genau erklären. Ich folgte den Anleitungen, wie man einen Reifenwechsel macht, und hoffte im Stillen, dass ich mir das alles nicht merken muss. „Tja“, sagte der Graue, „hier mal nicht mit der Schlagbohrmaschine, sondern mit dem Wagenheber, Schatzl!“
Wir verließen Windhoek in südliche Richtung. Die Straßenkarte, die wir vorsorglich gekauft hatten, leistete uns gute Dienste. Ein paar Affen schauten vom Straßenrand hinter uns her.
Die Landschaft war karg, die Erde rötlich und grau durchmischt: Die Kalahari breitete sich vor uns aus. Der Graue musste natürlich immer wieder anhalten, um Fotos von der unendlichen Weite zu machen. Am blauen Himmel standen bewegungslos weiße Wolken, soweit das Auge schauen konnte. Ab und zu ein Windrad, ab und zu ein Tor mit einem Schild, das auf eine Lodge hindeutet, ohne dass man sie sehen konnte. Alles war so weit auseinander. Das gesamte Land hat weniger Einwohner als Berlin, dachte ich. Hier trifft man seine Nachbarn eher selten.
Und bevor wir unsere erste Unterkunft, die „Jansen Kalahari Farm“ erreichten, ballten sich schon wieder weit oben dunkle Wolken zusammen. Vielleicht ist es hier ein gutes Zeichen, wenn man als Besuch gutes Wetter, sprich hier: REGEN! mitbringt? Gern geschehen!
In unser erstes Häuschen verliebten wir uns auf der Stelle. Der Ausblick aus dem Fenster auf die rote Landschaft war so schön, dass man es für eine Postkarte mit Rahmen halten konnte. Das Abendessen wurde auf der Veranda serviert, unser Tisch war weiß gedeckt, im Hintergrund ging eine rote Sonne unter. Ich hörte in Gedanken die Musik aus dem Film „Jenseits von Afrika“, zu der Meryl Streep mit Robert Redford tanzte. Der Graue wollte nicht tanzen, aber sogar er guckte andächtig und schweigend der Sonne beim Untergehen zu.
Am Morgen war der Graue verschwunden. Im Nachthemd spazierte ich auf unsere kleine Terrasse und fand ihn, mit Kameras behängt und bester Laune. „Schatzi, Du verschläfst hier die ganzen Tiere, guck Dir das mal an!“
Mir verschlug es fast die Sprache: In Rufentfernung stolzierten einige Strauße umher. Sie und der Graue hatten, wie ich hörte, schon Freundschaft geschlossen. Weiter entfernt grasten Zebras gemütlich in der aufgehenden Sonne. Und dann, ich konnte es kaum fassen, guckte eine Giraffe über die Bäume hinweg zu mir rüber. Der Graue lachte schon wieder. Die Giraffe drehte den Kopf zu einer zweiten. Sie grüßten beide herüber und stolzierten langsam weiter.
Nach dem Frühstück mussten wir schon wieder Abschied nehmen. Die Strauße wiegten die Köpfe und lachten uns zu. Wir winkten vom Tor und machten uns auf den weiten Weg westwärts – Richtung Wüste Namib.
Und dass wir dort angekommen sind, trotz Regen, Gewitter und halsbrecherischer Fahrmanöver durch Wasserlöcher, verdanken wir natürlich einzig und allein der Reiseleitung durch Kochmaus, die die Straßenkarte hoch und runter kletterte und immer laut piepsend die Fahrrichtung vorgab. Obwohl die Straße nur eine Richtung hatte und Abbiegemöglichkeiten nicht vorhanden waren.
Somit können wir aus dem Sossusvlei Nationalpark melden: Wir haben es bis hierher geschafft. Lebend. Wie einst Nel und Stas. Durch Wüste und Dschungel. Mehr Wüste erstmal. Aber unglaublich schön.
Kommentare
Kommentar von Sophia |
Ich habe nur eine Frage: warum habt ihr mich zurück gelassen!!
Kommentar von Klaus |
Superspannende Reisereportage! Viel Spaß weiterhin!
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