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Der neue Goldstandard

von (Kommentare: 1)

Ostern steht vor der Tür, und das bedeutet vor allem eines – Supermärkte quellen über vor Schokoladenhasen in allen Größen und Farben. Mit ihrem niedlich-falschen Lächeln fordern sie uns auf: Kauf mich! Sofort! Doch wer bei dieser alljährlichen Süßwarenflut denkt, er könne einfach mal eben für die Kinder (oder, sind wir ehrlich, für sich selbst) einen kleinen Hasen mitnehmen, erlebt an der Kasse den Schock seines Schokoladenlebens. Der Preis für kakaohaltige Produkte hat sich in Regionen verabschiedet, die früher nur Wein aus dem Piemont oder Wagyu-Rind vorbehalten waren.

Eine handelsübliche Tafel Vollmilchschokolade, 100 Gramm feinste Industriequalität, kostet etwa 1,50 bis 2,00 Euro. Hochgerechnet liegt der Kilopreis also bei etwa 15 bis 20 Euro. Kein Schnäppchen, aber okay – man gönnt sich ja sonst nichts. Packen wir nun einen durchschnittlichen Schoko-Osterhasen bei seinen Löffeln, sagen wir ein kleines, hohles Häschen mit 150 Gramm Gewicht, dann kostet der uns locker 4,99 Euro. Macht einen Kilopreis von rund 33 Euro. Ein größeres Exemplar mit Goldfolie, Schleife und Kindchenschema-Faktor schlägt schon mal mit 7,99 Euro für 200 Gramm zu Buche. Das ergibt: 40 scho(c)kige Euro pro Kilo.

Den bisher absoluten Mondpreis konnte der Chronist in einem Berliner Supermarkt dokumentieren. Eine 37 Gramm- Packung für „Kleine Ostergeschenke“ wollte für 3,99 Euro mitgenommen werden. Oder anders ausgedrückt: 107(!) Euro pro Kilo. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Willkommen in der Welt der Luxuslebensmittel. Tschüss, Kaviar. Bye bye, Parmaschinken. Jetzt kommt Schokolade.

Während dieser Irrsinn für einige nur die Abgründe eines ausgemachten Raubtierkapitalismus aufzeigen, vermuten andere dahinter eine große Verschwörung. Schon macht in einschlägigen Lautsprecher-Kanälen und Bescheidwisser-Medien eine zentrale Frage die Runde: Wo sind eigentlich all die nicht verkauften Schokoweihnachtsmänner geblieben? Und: Sind diese Osterhasen etwa recycelte Weihnachtsmänner? Die Figur wirkt verdächtig vertraut, nur dass statt Zipfelmütze jetzt Hasenohren auf dem Kopf stecken. Könnte es sein, dass im Januar einfach neue Gussformen hervorgeholt und anschließend die Schokolade umetikettiert wird? Eine Art saisonales Zeugenschutzprogramm für Weihnachtsmänner? Bis die Hasen zur kommenden Weihnacht erneut das Kostüm wechseln und sich zurückverwandeln. Schoko-Recycling in Vollendung. Die immer gleiche alte Ware für immer neue höhere Preise.

Natürlich gibt es dafür keine offiziellen Beweise. Aber wer braucht so etwas Altmodisches heutzutage noch. Was denkbar ist, muss auch wahr sein. Außerdem ist der Gedanke des mysteriösen Schoko-Recyclings einfach zu verlockend, um ihn abzutun. Man könnte fast glauben, wir hätten es bereits mit einer neuen Währung zu tun. Schoko statt Crypto. Während die digitalen Währungen unberechenbare Sprünge machen wie ein ausgewachsenes Buschkänguru, kennt der Schokoladenpreis nur eine kontinuierliche Bewegungsrichtung: hoch und höher. Richtung Mond – und gerne auch noch weiter.

Wenn dann auch noch die Kunst mit ins Spiel kommt, gibt es endgültig kein Halten mehr. So war die berühmte Bauhaus-Bewegung der 1920er Jahre schon damals ihrer Zeit weit voraus. Aber auch die Nachfolger stehen den Gründern in nichts nach. Auch sie gestalten Altbekanntes um und präsentieren es in schlichtem, aber modernen Design. Selbst vor Schokohasen machen sie nicht halt, wie man vor Ort in Dessau feststellen kann. Die spannende Frage bleibt allerdings, ob die Ergebnisse überhaupt noch für den Verzehr vorgesehen sind oder ob sie nach dem Kauf nicht besser im Bankschließfach aufgehoben sind. Oder kennt irgendwer irgendwen, der mit Genuss 35 Gramm Schokolade verzehrt, die er zuvor für 9,90 Euro erworben hat? Oder anders ausgedrückt 282,86 Euro für das Kilo neu modellierter Kakaomasse hingeblättert hat?

In Berlin beginnen die ersten bereits Preise in “Hasen” umzurechnen. Ein Mittelklasse-Handy? Etwa 35 Hasen. Ein Liter Benzin? 0,2 Hasen. Ein Kurzurlaub in Italien? 150 Hasen, inklusive Halbpension.

Der neue Goldstandard ist hohl, süß, glänzt golden und steht auf breiten Füßen. Und so sehr wir uns über seine Preise beschweren – am Ende landen sie doch im Einkaufskorb. Zu süß ist diese Versuchung aus Tradition. Und Nostalgie hatte schon immer ihren Preis. Nie war der Nummer-1 Hit des kanadischen Musikers Neil Young so aktuell wie heute. Vor 50 Jahren besang er bereits den „Has´of Gold“.

Und so schließt sich der Kreis. Nach Ostern ist schon wieder vor Weihnachten. Wir sind gespannt, in welche Galaxien die Schokomützenträger vordringen und wieviel Osterhase sich dann in ihnen befinden wird.

Schlimmer geht immer

Wer denkt, damit wäre die Geschichte auserzählt, irrt. Überall wo ein Geschäft zu wittern ist, betreten immer zwielichtigere Gestalten die Bühne. Gierig darauf, ihr eigenes Tortenstück vom Blech zu ziehen. Manche stehen einem dabei näher, als man glaubt. Wo soll das nur enden?

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Kommentare

Kommentar von Problemcousine |

Beste Lösung: Ignorieren und Verzichten. Leider funktioniert das mit Heranwachsenden ( neues Wort für Kinder) nicht so toll. Bei uns im REWE gab es jetzt Osterartikel im " Dubai - Schokoladenstil". Von Weitem gesehen und Wegignoriert,ohne genaue Preise zu checken...

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