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Das Licht in uns

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„Wie können wir in Zeiten von Pandemien und globalen wie persönlichen Krisen stark bleiben?“ Einfache Lösungen verspricht Michelle Obama auf diese Fragen nicht. Gefunden habe ich dennoch in ihrem Buch genau die. Für mich.

Nachdem ich schon das erste Buch meiner persönlichen Lieblingspräsidentin verschlungen und geliebt habe, habe ich mich auf das jetzige gefreut wie auf das Wiedersehen mit einer alten Freundin.

Die Welt ist eine andere inzwischen. Krisen sind in unserem Alltag angekommen, nach einer mehrjährigen Pandemie, von der wir uns kaum erholt haben, müssen wir fassungslos einem Krieg in unserer Nachbarschaft zuschauen. Überall auf der Welt stehen die Demokratien in Frage, Despoten und Autokraten herrschen, Armut und Hunger greifen um sich, wohin man auch schaut. Die Umwelt und das Klima machen uns Sorgen, die Politiker beschäftigen sich nur noch mit sich selbst oder absurden Themen. Neuerdings sind wir froh, wenn nur ein Wildschwein für einen Löwen gehalten wird. Das ist schon eine gute Nachricht, bei all den anderen düsteren News aus allen Richtungen.

Michelle Obama hat ihr Buch in einfache Abschnitte unterteilt. Schon das Lesen der Überschriften machte mich neugierig. „Die Kraft des Kleinen“, „Darf ich vorstellen, meine Mutter“ oder „Mein Küchentisch“. Das war mir vertraut. Damit konnte ich was anfangen. Das wollte ich nun von ihr wissen.

Und schon im ersten Kapitel war ich absolut einer Meinung mit meiner alten Freundin. In Zeiten, in denen draußen die Probleme so groß und übermächtig waren, entdeckte Michelle Obama ihre Stricknadeln. In den ersten Wochen der Pandemie, als die Nachrichten immer schlimmer und schlimmer wurden, wir alle stillstanden und die Luft anhielten und keine Kontrolle mehr über irgendetwas hatten, begann sie, aus dem düsteren Gedankenkarussell auszubrechen, den übermächtigen Film anzuhalten - und sich mit etwas ganz Kleinem und Unbedeutendem zu beschäftigen: Sie schlug ihre erste Masche an.

Es war der Anfang von einem Weg, ein erster Schritt, die Dinge im wahrsten Sinne des Wortes wieder in die Hand zu nehmen. Sie erinnerte sich daran, dass sie in all den Jahren zuvor immer dem Kopf die Herrschaft überlassen und erst dann die Hände folgen konnten, etwas zu tun, was im Kopf entstanden war. Sie war nicht auf die Idee gekommen, dass der Vorgang sich umkehren ließ. Genau das passiert aber bei Handarbeiten dieser Art. Die Finger übernehmen die Arbeit, der unruhige Kopf und das klopfende Herz folgen - und kommen zur Ruhe.

Ich war fasziniert von solchen einfachen Gedanken und konnte der Idee auf Anhieb folgen. Ich erinnerte mich, wie auch ich – nicht ganz zufällig – im letzten Jahr das Häkeln wieder für mich entdeckt hatte. Ich erinnerte mich, wie ich die Augen von den Fernsehnachrichten auf die bunten Reihen vor mir gerichtet hatte, und mein Puls und mein Atem sich beruhigt und verlangsamt hatten. Hier entstand eine neue kleine Welt, in der alles in Ordnung war. Jemand würde sich wohlig in diese bunte weiche Decke wickeln lassen, jemand, der willkommen war und erwartet wurde.

„Das leise Klicken der Nadeln führte meine Gedanken in eine neue Richtung. … Von den stillen Aussichtspunkten gelang es mir, über meinen Kummer und meine Enttäuschung hinauszublicken und zu meinem verloren geglaubten Überzeugungen zurückzufinden.“

Ich erinnere mich, wie stolz ich war, als meine bunte Decke fertig war. Es ist unermesslich, wie viele schöne Gedanken ich in sie hineingehäkelt habe und wie zufrieden ich war, als ich den weichen kuschligen Rand drumherum fertigte. Ich freue mich noch heute, wenn ich sie sehe. Wie eine sonnige Botschaft aus einer anstrengenden und trüben Zeit.

In einem anderen Kapitel lese ich mit Erstaunen und großer Zustimmung, wie Michelle Obama über ihre Freundschaften schreibt, die sie in ihrem Leben mit mehr oder weniger großer Intensität gepflegt hat, und die ihr auch in Zeiten der Krisen Halt und Hilfe gaben. Sie beschreibt, wie viele Facetten die verschiedenen Beziehungen zu Freunden und Familienmitgliedern hatten und was sie ihr bedeuten. Sie erinnert sich zurück an ihre Kinderzeit in Chicago und schildert, dass der beste und sicherste Ort ihrer Kindheit der elterliche Küchentisch war.  Ein kleiner Tisch mit einer Plastikdecke und vier Stühlen bildetet den Mittelpunkt in einem Raum, dessen Sicherheit und Behaglichkeit sie in ihr Leben und in ihre eigene Familie mitgenommen hat. „Meine Gruppe von Freundinnen ist für mich mein „Küchentisch“…. Das sind meine Freundinnen, die ich gebeten habe, sich einen Stuhl heranzuziehen und in meinem Leben neben mir zu sitzen.“

Der Küchentisch als Symbol der Beziehungen zu Freunden und Familie. Ein schöner Gedanke, den ich genauso schon in meinem Leben festgestellt habe. Es kann ja kein Zufall sein, dass immer und immer wieder auch bei mir der Küchentisch der Mittelpunkt der Wohnung war und immer noch ist. Mein Tisch ist nicht edel und hat keine bequemen Sessel, und eine bunte Plastikdecke hat er zu allem Elend wirklich. Aber wenn Freunde oder Familie zu Gast sind, sitzen wir immer um den Küchentisch, stundenlang und die Zeit vergessend. Die Kinder können rumkleckern und die Welt neu geordnet werden. Kummertränen und Lachsalven hat er erlebt, Löcher in der Decke und Kerben von wütenden Fäusten, Schnitte von abgerutschten Messern und ein wackliges Bein. Die Personen, die jemals dran gesessen haben, haben ihren festen Platz am Tisch, genau wie in meinem Leben.

Ich könnte zu dem wunderbaren Buch von Michelle Obama noch sehr viele Gedanken niederschreiben. Es ist mir ein Trost und eine Offenbarung gewesen, und hat mir viele kleine Problemchen in einem neuen Licht gezeigt. Es hat mich erheitert und ermuntert und mir wieder schöne kleine Anregungen für die Zukunft gegeben. Es hat mich wieder auf den Weg gebracht.

Der wichtigste und wunderbarste Gedanke: Das Licht, das wir in diesen Zeiten am dringendsten brauchen und finden können, ist in uns. Wir dürfen nur nicht aufgeben, es jeden Tag aufs Neue zu sehen und zu finden.

 

 

„Das Licht in uns“ von Michelle Obama

Goldmann Verlag, 384 Seiten, 28,00 Euro

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