Canyon Men
von Peter Schäfer (Kommentare: 6)
Grand Canyon National Park
Zusammengerechnete 110 Menschenjahre schauen in einen Abgrund, der schon mehr als 40 Millionen Geburtstage gefeiert hat. Wir kommen uns sehr klein vor, ziemlich jung und irgendwie völlig unbedeutend angesichts der geologischen Offenbarung, die sich vor uns auftut wie ein überdimensionierter Relief-Atlas zur Erdgeschichte.
Von da, wo wir stehen, sind es etwa 1,8 Kilometer Höhenunterschied bis auf den Grund des Naturwelterbes namens Grand Canyon. Morgen wird Mike die Tiefen und Höhen dieser gigantischen Schlucht ebenso erkunden wie seine eigenen. Einmal runter, auf der anderen Seite wieder rauf und das Ganze zurück. So lautet der Plan. In Zahlen ausgedrückt sind das rund 75 Kilometer Marschleistung. Dabei sind zusammengerechnet etwa 3.500 Höhenmeter zu überwinden.
Das Besondere aber an der an sich schon besonderen Aktion: er wird diese Tour in einem Durchgang machen. Keine langen Pausen, keine Übernachtung. Nicht im Tal und nicht auf der anderen Seite. Zur Erinnerung: das sind fast zwei Marathon-Distanzen unter extremen Steigungsverhältnissen und das bei Temperaturen, die am Tag 38 Grad Celsius erreichen.
Auf was er sich da einlässt, ist ihm durchaus bewusst. Er hat es nämlich schon einmal gemacht. Allerdings war er da auch noch zwei Jahre jünger. Auf jeden Fall weiß er, was er sich da zumutet und wie lange es dauern wird, um diesen Trip in einem Rutsch zu absolvieren.
Auch für die Begleitcrew ist es hart. Mike startet um 3.00 Uhr in der Frühe. Um diese Zeit ist vom Abgrund noch nichts zu sehen. Wäre der wolkenlose Himmel nicht von Sternen übersät, wüsste man nicht einmal wo oben ist oder unten. Ansonsten ist es dunkel wie im sprichwörtlichen Bärenarsch, als wir uns am Südrand des Grand Canyons verabschieden.
Mit ein paar Litern Wasser, ein wenig Proviant und einer kleinen Stirnlampe ausgestattet, bricht Mike auf. Wenige Minuten später irrlichtert seine Lampe wie ein Glühwürmchen entlang der Serpentinen in den dunklen Schlund.
Als es um halb sechs langsam hell wird, brechen Kochmaus und ich zu einer Wanderung mit unverstelltem Blick auf die Gesteinsformationen auf. Wir blicken auf Natur, die sich in Millionen von Jahren so formiert und auch in den letzten paar tausend Jahren nur unmerklich verändert hat. Und dennoch wechselt sie ihr Angesicht nun im Minutentakt. Die aufsteigende Sonne inszeniert eine riesige Lichtperformance. Der Grand Canyon wird zu einem Kaleidoskop in Zeitlupe.
Um diese Uhrzeit sind bereits etliche Besucher unterwegs. Vor COVID sollen es 6 Millionen pro Jahr gewesen sein, die sich dieses Naturereignis aus der Nähe angeschaut haben. Die meisten – so wie wir – bewegen sich ganz bequem entlang der gut ausgebauten Parkwege. Eigentlich wandern wir nicht, sondern schreiten auf dem Weg entlang. Ganz so, als würden wir in die Schaufenster einer städtischen Prachtmeile blicken, bewundern wir hier die Auslagen der Natur. Die Landschaft hat etwas Meditatives. Sie strahlt Ruhe aus und eine unbezwingbare Kraft. Der Begriff und die Vorstellung von Zeit relativierten sich hier, je länger man auf die zu Stein gewordene Erdgeschichte blickt. Wer hier nicht wenigstens kurz von spirituellen Gefühlen ergriffen wird, muss seelenlos sein.
Am Mittag steht Mike auf der Nordseite des Canyons. Die Hälfte der Aufgabe ist geschafft. Ohne Pause heisst es nun: den gleichen Weg zurück. Noch einmal über 35 Kilometer, zunächst bergab und dann eine gefühlte Ewigkeit erneut bergauf. Wenn das mal gut geht.
Als die Sonne wieder untergeht, ist von Mike noch immer nichts zu sehen. Die ersten Glühwürmchen, die aus dem Dunkel des Canyons wieder nach oben gelangen, sind andere. Es ist noch nicht Mitternacht, als Mike wieder ins Licht des Parkplatzes tritt. Nach 18 Stunden auf den Beinen, sieht er erstaunlich gut aus.
Jeder Normalsterbliche hätte sich nach so einer Tour ein paar Tage Erholung verdient. Und die wären eigentlich auch zwingend. Mike hingegen will sich in drei Tagen der nächsten Herausforderung stellen. Auch diesmal spielen Canyons wieder eine Rolle.
Canyonlands
Zunächst müssen wir über 500 Kilometer nach Norden fahren bis Moab. Die Stadt liegt im Bundestaat Utah am Rande des Nationalparks Canyonlands. Hier offenbaren sich die Schluchten weniger in ihrer Tiefe als vielmehr in der Breite. Bemerkenswert ist auch, dass sich der Grand Canyon gegenüber den Canyonlands altersmäßig ausnimmt wie ein Jungspund. Ich meine, was sind schon 40 Millionen gegenüber rund 300 Millionen Jahre. So alt sind nämlich die Gesteinsformationen, die der Colorado und der Green River vor Ewigkeiten im Südosten von Moab in die Landschaft gefräst haben. Die Canyonlands gehören zu den abgelegensten Regionen der USA. Die Parks sind kaum erschlossen, die Zuwegungen der Natur abgetrotzt. Nichts ist asphaltiert. Hier und da finden sich Anlaufpunkte für Camper, die per Vierradantrieb, Motorrad oder Mountainbike sich in der Weite der Landschaft verlieren.
Für diesen Abschnitt seiner Big Five wählt Mike das Fahrrad. Die als White Rim Trail bezeichnete Strecke ist etwa 140 Kilometer lang. Einen Tag zuvor erkunden wir den Einstieg und das Ende der Tour und treffen dort auf eine Gruppe Mountainbiker, die soeben einigermaßen erschöpft den Trail hinter sich gebracht haben. Die Gruppe hat für die Strecke 4 Tage gebraucht. Mike will das morgen in einem Durchgang erledigen. Seitdem ich miterlebt habe, wie er den Grand Canyon vor zwei Tagen weggesteckt hat, habe ich keine Zweifel, dass er das schaffen wird. Hinzu kommt, dass ich diesmal mit von der Partie sein kann. Natürlich nicht auf dem Rad, sondern ganz gepflegt auf einem Jeep mit Vierradantrieb. Viel schneller als mit dem Rad bin ich mit dem Auto in diesem schweren Gelände allerdings auch nicht. Die Tour führt durch eine Landschaft, die zu weiten Teilen wie eine Mischung aus Mond und Mars wirkt.
Die letzten Kilometer führt die Strecke nur bergauf. Ein tierischer Anstieg. Mike quält sich tapfer im Schritttempo über die letzten, nicht enden wollenden Kilometer. Nach 11 Stunden ist Teil 2 der Mike-Challenge dann ebenfalls Geschichte. Auch jetzt wirkt er nicht, als würde er gleich vor Schwäche kollabieren. Vielleicht fällt ihm ja noch ein, bei der Tour de France zu starten. Wundern würde es mich jedenfalls nicht.
Kommentare
Kommentar von Die Rote |
Wow!! Mike!! Wahnsinn!! RESPEKT!
Und was für ein Glück, dass Du so einen brauchbaren Coach und Fotoreporter dabei hast!
Großartige Leistung, alle beide!
Kommentar von Die Rote |
Nur Kochmaus macht mir etwas Sorgen…
Seit wann fährt sie Auto? Und jetzt irgendwelche Nagetiere zu umarmen wird vom Roberta-Kochmaus-Institut nicht empfohlen!!
Und wieso gibts einen Canyon mit ihrem Namen?
Alles höchst mysteriös!
Kommentar von Marion |
Wow, was für eine Landschaft! Tolle Fotos! Und was für eine Leistung von Mike, da kann man nur den Hut ziehen.
Kommentar von Ronald |
Genial! Topleistung im fortgeschrittenen Alter. Wir sind stolz. Liebe Grüsse aus Soledurn und bliib dra!!
Kommentar von Cornelia König |
Geniale Fotos, ich bin sehr beeindruckt von der sportlichen sowie der fotografischen Leistung!
Aber das mit dem Kochmaus-Canyon verstehe ich auch nicht richtig!?
Eure Freundin aus Sachsen
Kommentar von Dieter |
Es ist alles gesagt ! ! !
Super tolle Fotos.
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