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Böse Saat - gute Ernte

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"Besser geht´s nicht". Da waren sich die Rote und der Graue ausnahmsweise mal einig, nachdem sie im Dezember 2019 ein ganz besonderes Konzert miterleben durften: Nick Cave. Warren Ellis. Sydney Symphonie Orchester - und das alles live in der Oper von Sydney.

Mit dem Wissen, dass ein perfektes Erlebnis nicht wiederholbar und schon gar nicht zu steigern ist, machten wir uns dennoch auf den Weg in die Berliner Waldbühne, um Nick Cave ein zweites Mal live zu erleben. Diesmal wurde er begleitet von seiner Band "The Bad Seeds" (Die böse Saat), in die sich unter anderen auch wieder Teufelsgeiger und Mulitinstrumentalist Warren Ellis eingereiht hatte.

Nach langer Zeit wieder eine ausverkaufte Waldbühne mitzuerleben, war an sich schon eine großartige Sache und heizte die Vorfreude auf die musikalische Darbietung umso mehr an.

Als die Künstler pünktlich die Bühne betreten, gibt es kein Halten mehr. Vom ersten Augenblick an werden wir das merkwürdige Gefühl nicht los, halb an einem Konzert und halb an einem Gottesdienst teilzunehmen. Einem Gottesdienst von der Art, wie man sie von den Fernsehübertragungen der Mega-Kirchen in den USA kennt, die dort neben anderen "Glaubens"-Geschäften auch eigene TV-Sender betreiben. Als unbeteiligter Zuschauer werde ich da allerdings nie das Gefühl los, einem Götzendienst beizuwohnen bzw. einer riesigen Verarschung.

Während auf der einen Seite die Religion zur Show verkommt, gelingt den Musikern an diesem Abend das Gegenteil. Hohepriester Nick Cave bringt in Form von Musik seine eigene Religion mit und lässt die nach Unterhaltung und Trost suchenden Gläubigen nicht für eine Sekunde aus der Umklammerung. Mit messerscharfer Bügelfalte in der Hose und einer Weste unter der Anzugjacke fegt er über die Bühne und zelebriert eine Mischung aus Teufelsaustreibung und Einflüsterung. Ein dreistimmiger Gospelchor für den Hintergrundgesang unterstütz dabei nicht nur den Sänger, sondern unterstreicht zusätzlich das Gefühl, einer Messe beizuwohnen.

Passend zu alldem sind die Texte des Meisters. Wer sie kennt oder sie versteht, weiß, wie tiefgründig sie sind. Neben der Bibel lassen sich dort viele andere literarische Einflüsse wiederfinden, wie z.B. Nabokov, Dostojewski und Faulkner.

Dass Songtexte nicht nur eine poetische, sondern auch literarische Komponente beinhalten können, wurde spätestens mit dem Nobelpreis für Literatur gewürdigt, der 2016 an den amerikanischen Liedermacher Bob Dylan ging.

Nick Cave ist darüber hinaus auch Roman- und Drehbuchautor. Als Theoretiker des Songwritings hat er Vorträge und Vorlesungen gehalten. Seine Themen bewegen sich häufig an den Grenzlinien zwischen Leben und Tod, Freude und Leid, Fluch und Erlösung. Und der Mann weiß, worüber er singt. Bereits als Jugendlicher geriet er an Drogen und war später heroinabhängig. Im Laufe seines Lebens verlor er zwei seiner Kinder, die tragisch ums Leben kamen.

Die Sprachbarriere bewahrt die nicht-englischsprachigen Zuhörer vor ein zu tiefes Abdriften in existentielle Fragen und Stimmungen. Was bleibt, ist die Konzentration auf die Musik. Nie zuvor wurde die Verdammnis gefühlvoller, der Abgrund poetischer besungen als von Nick Cave.

Zweieinhalb Stunden lang präsentiert der 64-Jährige eine Werksshow aus 40 Jahren Musikerleben. Wie einige andere weltbekannte Künstler hat auch er einige Jahre in Berlin gelebt und gearbeitet. Insofern ist sein Urteil über den aktuellen Zustand der Stadt mehr als bloße Koketterie. Er gesteht dem applaudierenden Publikum, bei seinem neuerlichen Besuch Berlin in einem "beautifully fucked up" Zustand - wunderschön beschissen - vorgefunden zu haben. Wobei ihm zumindest die Ortsansässigen beim "fucked up" sofort zugestimmt haben dürften. Beim "beautiful" eher nicht so schnell.

Am Ende war es wieder ein tolles Konzert mit diesem sehr eigenwilligen Künstler. Natürlich lässt es sich nicht mit unserer ersten Begegnung in der Sydney Oper vergleichen, das einem Privatkonzert im Wohnzimmer glich, wenn man dem die Waldbühne gegenüberstellt. Das beeinträchtigte das musikalische Erlebnis an diesem schönen Sommerabend in Berlin allerdings in keiner Weise. Nick Cave und seine Böse Saat sorgten dafür, dass 20.000 Menschen mit einer reichen Ernte beschenkt nach Hause gingen.

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