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Becoming

von (Kommentare: 2)

Becoming - Mein Leben

Nachdem eine junge Juristin mit hervorragenden Abschlussnoten in einer namhaften Kanzlei in Chicago einen Job ergattert hatte, gutes Geld verdiente und auf dem Weg war, nach oben durchzustarten, wurde sie gefragt, ob sie den Sommer über Mentorin eines Jura-Studenten sein könnte. Sie sagte zu – und begriff erst viel später die lebensverändernde Kraft dieses schlichten „Ja“.

„Eine tektonische Bruchlinie in deinem Leben hat begonnen zu beben. Gewisse Grundpfeiler stehen schon nicht mehr ganz fest. Der andere Name auf dem Papier ist der irgendeines erstklassigen Jurastudenten, der eifrig seine eigene Leiter hinaufklettert. Wie du selbst ist er schwarz, und er kommt aus Harvard. Sonst weißt du nichts über ihn – nur den Namen, und der klingt seltsam.“

Mit diesen schlichen und poetischen Worten beschreibt Michelle Robinson die Begegnung mit ihrem späteren Ehemann Barack. „Barack Obama kam an seinem ersten Tag zu spät“, beginnt das nächste Kapitel. Mit großer Warmherzigkeit und viel Humor erzählt sie vom Leben mit dem Mann, der als erster schwarzer Präsident in die Geschichte Amerikas einging.

Bis dahin hatte sie, das Mädchen aus Chicagos South Side, ehrgeizig bis zur Perfektion, zutiefst strebsam, fleißig und ein absoluter Kontrollfreak, sich selbst die höchsten Ziele gesteckt, und immer eines nach dem anderen hart erarbeitet. Liebevoll beschreibt sie ihr Elternhaus und ihre Kindheit inmitten einer großen weitverzweigten Mittelschicht-Familie, in der man Jazz liebte und den Kindern die beste Bildung ermöglichte, die für die damaligen Verhältnisse möglich war. Sagte die Studienberaterin zu ihr „Ich weiß nicht, ob Sie für Princeton das richtige Material sind“, bewies sie der unbekannten Frau, dass sie – Michelle Robinson aus der South Side Chicagos – die Universität in Princeton zu genau ihrem Material gemacht hat. Nicht umgekehrt.

Ich habe das Buch von Michelle Obama mit allergrößter Freude und Hochachtung gelesen und diese Frau anschließend sofort auf meine persönliche „Wenn Du könntest, welche berühmte Person würdest Du gern mal kennenlernen“-Liste gesetzt. Diese Frau verkörpert genau das Amerika, das ich kennengelernt habe, das ich in mein Herz geschlossen habe: Offen und streitbar, bunt und zutiefst vielschichtig, voller Möglichkeiten, voller Chancen, voller Stolz, voller Neugier. „Amerikas Geschichte ist immer eine Geschichte der Auseinandersetzungen gewesen. In dieser Nation war immer Auseinandersetzung und wird immer sein.“ Mit diesen Worten beschrieb vor ein paar Jahren der ehemalige Botschafter John Kornblum sein Heimatland. Wahrscheinlich hat er recht. Wir haben in den darauffolgenden Jahren oft an seine Worte gedacht. Und auch beim Lesen des Buches kamen sie mir einige Male in den Sinn.

Davon abgesehen, dass ihre Geschichte unterhaltsam, kurzweilig und in einer niveauvollen Sprache geschrieben ist, hat Michelle Obama auch durchaus viel Spannendes, Inspirierendes und Hoffnungsvolles zu erzählen. Überhaupt: HOFFNUNG. Ich glaube, dass Hoffnung in ihrem Leben das wichtigste und kraftvollste Element ist. Hoffnung bekam sie von ihren Eltern mitgegeben, die sie auf gute Schulen schickten und sie und ihren Bruder immer und immer wieder zum Weitermachen und Weiterlernen motivierten. Hoffnung ist das Element, das ihr Mann dem ganzen Land vermitteln konnte, als er als Präsident kandidierte. Hoffnungsvoll startete Amerika in ein neues Zeitalter. Ich persönlich erinnere mich an meine eigene Euphorie, als Obama gewählt wurde. Unglaublich, dachte ich damals... Es fühle sich so unfassbar einmalig an, als er in seiner Antrittsrede „Yes – we can“ sagte, und das gesamte Land in Jubel ausbrach. Jetzt ist alles möglich, dachte ich damals. Und Michelle Obama dachte es auch, wie ich heute weiß.

Die acht Jahre, die sie im Weißen Haus lebte, sind im Buch sehr anschaulich beschrieben. Ihre Kinder sind inmitten des Secret Service groß geworden, und zu jungen Mädchen herangewachsen. Sie beschreibt ebenso ihre persönlichen Empfindungen bei drastischen politischen Ereignissen, ihre eigenen Bemühungen um Projekte, die ihr am Herzen lagen, ebenso wie die kleinen und großen Geschichten, die sie nie vergessen wird. Herrlich zu lesen: Wie sie und ihre Tochter Malia sich am Tag, als das Gesetz die gleichgeschlechtliche Ehe in Amerika erlaubte, aus dem Haus schleichen wollten, um die Regenbogenbeleuchtung des Weißen Hauses einmal von außen zu sehen. Da öffnet man ja nicht einfach die Tür, um mal auf den Rasen zu treten. Wie sie es dennoch schaffte, ohne die Sicherheitsleute zu verärgern und Alarm auszulösen, und diesen winzigen Sieg zu schätzen wusste – wunderbar.

Das Buch von Michelle Obama zu lesen war eine große Freude für mich. Trotz des bedrückenden Wissens über die betrüblichen Geschehnisse, die danach kamen, hat ihre Geschichte mich zutiefst berührt, inspiriert und ermutigt, und mich mit dem erfüllt, was Michelle ihr ganzes Leben lang getragen und weitergegeben hat: Hoffnung.

„Ich bin mit einem schwerbehinderten Vater in einem zu kleinen Haus aufgewachsen, mit wenig Geld, in einem Viertel, das am Rande des Niederganges stand, aber ich bin auch von Liebe und Musik umgeben in einer vielfältigen Stadt aufgewachsen, in einem Land, in dem man es mit Bildung sehr weit bringen kann. Ich hatte nichts oder ich hatte alles. Es hängt nur davon ab, wie man es erzählen will.“

„Becoming – Meine Geschichte“. Autorin: Michelle Obama; 544 Seiten.

 

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Kommentare

Kommentar von Martina |

Sehr guter Tipp, werde es sofort kaufen

Kommentar von Klaus |

Toll rezensiert! Macht neugierig und Kauflaune ...

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