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Auf den Spuren der Schlange

von (Kommentare: 2)

Die Frau am Mietwagenverleih überreicht Mike die Papiere und mir eine Spraydose, auf der mich ein Bär streng anschaut. Ist das eine Anspielung auf mein Alter? Aussehen? Körpergeruch? Weder noch, wie ich beim genaueren Hinsehen feststelle. Die Dose enthält kein Deo und auch kein Haarspray. Es ist ein chemisches Bärenabwehrmittel.

Nachdem ich die Gebrauchsanweisung studiert habe, wünschte ich, die Frau hätte mir eine Winchester gereicht. Oder eine 44er Magnum. Dass ich die Öffnung der Dose nicht in meine Richtung halte, ist ja noch plausibel. Dass ich den Bären mit der Chemo-Keule aber erst vertraut machen soll, wenn er auf 2 bis 3 Meter an mir dran ist, scheint mir dann doch etwas sehr verwegen. Oder geht man davon aus, dass sich der Bär totlacht, wenn er ein Menschlein mit so einer Dose vor sich sieht? Möglich wär’s. Wie auch immer, es bleibt bei der Spraydose.

Ohne Flinte im Gepäck machen wir uns auf nach Norden. Und zum ersten Mal wird mir klar, dass wir den vor uns liegenden Trip nicht bis in die letzte Konsequenz zu Ende geplant haben. Jetzt ist es zu spät. Und eine Stunde später ist bereits alle graue Theorie vergessen. Alaska hat uns in seinen Fängen und wird uns die nächsten Tage nicht mehr loslassen. Man sieht vor lauter Bäumen keinen Wald mehr. Ein Ozean aus Nadeln und immer bunter werdendem Laub erstreckt sich bis zum Horizont und weiter. Es ist ein erhabener Anblick. Ein spirituelles Erlebnis. Ob Mensch oder Bär, die Natur umarmt hier alles, drückt jedes Leben an ihren schönen, aber erbarmungslosen Körper.

Anderthalb Stunden nach Fairbanks gelangen wir auf den Dalton Highway. Die nächsten 660 Kilometer von insgesamt 800 werden wir auf ihm zubringen. Dort sichten wir auch zum ersten Mal Alaskas sagenumwobene, silberne Riesenschlange. Sie schmiegt sich lasziv in die Topografie und wird eins mit der Landschaft. Statt Blut fließt rohes Öl durch ihre 1287 Kilometer lange Hauptschlagader. Sie reicht von Prudhoe Bay - unserem Ziel - bis nach Valdez, dem eisfreien Hafen in Südalaska. Die Trans-Alaska-Pipeline ist ein außerordentliches Werk menschlicher Ingenieurskunst. Mit ihr wurde versucht, eine Technik zu installieren, mittels derer das umweltschädliche Rohöl unversehrt durch die ursprüngliche Natur Alaskas befördert werden kann. Seit über 50 Jahren tut sie das nun schon und noch immer schimmert die Metallröhre geheimnisvoll und allgegenwärtig vor sich hin und begleitet uns auf unserem Weg.

Nach zwei Stunden treffen wir auf eine andere, sagenumwobene Lebensader Alaskas, den Yukon. Seine Bewegungsrichtung geht von Ost nach West. Da wo sich Fluss und Pipeline kreuzen, machen wir Halt. Betrachten die beiden Ikonen aus der Nähe. Unterschiedlicher könnten die Flüssigkeiten nicht sein, die beide auf ihre Art unser modernes Leben sichern: Wasser und Öl.

Eine Stunde später überqueren wir den nördlichen Polarkreis. Weitere 60 Minuten später haben wir die entfernungsmäßige Hälfte unserer Fahrt erreicht. Coldfoot heißt die Ansammlung von Gebäuden und Fahrzeugen, die sich um die einzige Tankstelle zwischen Fairbanks und Prudhoe Bay gruppieren. Jeder, der auf dem Dalton Highway unterwegs ist, fährt hier raus. Zum Tanken, zum Essen, zum Übernachten.

Ich komme mit einem Trucker ins Gespräch, der seit 10 Jahren zwischen Fairbanks und Prudhoe Bay pendelt. Drei bis vier Mal in der Woche. Sommer wie Winter. Dann in völliger Dunkelheit und unter extremen Witterungsbedingungen. Die Fahrbahn bildet dann eine festgefahrene Schneedecke, die obendrein mit Wasser besprüht wird. Auf der dadurch entstehenden Eisfläche lässt es sich angeblich super fahren. Zuvor muss man aber noch den Reifendruck auf allen Rädern verringern. Schneeketten benutzt hier niemand. Das verlangsame die Fahrzeit. Wie überall ist auch hier Zeit Geld. Für jede Tour kassiert der Fahrer 1.800 Dollar. Im Monat verdient er um die 10.000 Dollar. Er liebt seinen Job. Niemand quatscht ihm rein. Keiner sagt ihm, was er zu tun hat. Er fährt alles, was auf seinen Monstertruck geladen wird. Baumaterial, Lebensmittel, Trinkwasser. Im Winter kann es schon mal sein, dass er tagelang in seinem LKW übernachten muss, weil Schneestürme und Blizzards jede Fortbewegung unmöglich machen.

Schon lange bin ich keinem so tiefenentspannten Menschen mehr begegnet wie diesem Trucker. Ein Gefühl zwischen Bewunderung und Neid keimt in mir auf. Unzählige Firmen suchen hier ständig Fahrer. Mit überdurchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten. Vielleicht sollte ich mal ein ernstes Gespräch mit der Roten führen. Sie könnte in Coldfoot Pizzaschnecken verkaufen, während ich uns als Kapitän der Landstraße in den Reichtum fahre. In den Ferien könnte dann Lieblingsenkel Fiete mit dem Opa den Dalton Highway rauf und runter fahren. Ein Traum für jeden Jungen.

Hinter Coldfoot legt sich uns eine Gebirgskette wie ein überdimensionierter Riegel in den Weg, die Brooks Range. Um die Berge zu überwinden, müssen alle einen 1444 Meter hohen Pass überwinden. Wie das im Winter ohne Schneeketten gehen soll, bleibt uns auch hier ein völliges Rätsel. Aber wer sind wir zivilisationsverwöhnten Vorruheständler schon, um das zu beurteilen. Zigtausende Alaska-Trucker können sich nicht irren.

Hinterm Berg erfolgt einmal mehr ein radikaler Szenenwechsel. Nach Wäldern und Gebirge folgen 150 Kilometer plattes Land. Kein Baum, kein Strauch. Tundra, soweit das Auge reicht. In Rostbraun. Nur unterbrochen von einer silbergrauen Bordüre.

Und dann hebt sich weit in der Ferne etwas vom Boden ab. Gerade Linien. Eckige und kantige Strukturen. Menschengemacht. Nach 12 Stunden erreichen wir Deadhorse. Die letzte Siedlung vorm Norpol angelehnt an die Prudhoe Bay.

Wir checken ein im Aurora Hotel. Fünf Sterne. Polarsterne, versteht sich. Wir freuen uns auf eine warme Mahlzeit, eine Dusche und ein Bett. Luxus pur. Am Ende der Welt.

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Kommentare

Kommentar von Elke Beerhalter |

Lieber Peter, welch ein echtes Abenteuer wieder mit Mike!!!!
Da fühle ich mich mit meinen Ideen für eine individuelle Reise durch die Massai Mara, die Serengeti oder das Friul geradezu wie ein Angsthase vor dem g a n z großen Unbekannten.
Locken würde mich meine Bewunderung und Liebe zu Trucks und ihren Kapitänen.
Mal sehen, was das Leben noch für uns bereithält.
Herzliche Grüße an Dich und den Schweizer
Elke

Kommentar von Peter |

Liebe Elke, zwischen unbekannt und bekannt liegt nur ein kleiner Schritt :-) Dafür ist die Überraschung und oft auch die Belohnung umso größer. Trau Dich und mache den Königen (und Königinnen) des Dalton Highways Deine Aufwartung :-)

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