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Alles muss raus!

von (Kommentare: 3)

Die versteckten Schätze hinter den Wintermützen…

Früher dachte ich immer, ein Ausdruck von richtigem Reichtum ist es, so viel Schrankfläche zu haben, dass man im Frühling und im Herbst den Kleiderschrank nicht mehr umsortieren muß. Die Erfüllung dieses Traumes stellte ich mir in einem Schrankzimmer vor: Die gesamte rechte Seite Sommer, die gesamte linke Seite Winter. Im Sommer Schiebetüren vor dem Winter, später umgekehrt. Herrlich.

Mit wachsendem Lebensalter wuchs zwar meine Kleiderschrankfläche, aber wahrscheinlich auch die Klamottenbesitz-Berge. Irgendwie war nie so viel Fläche da, dass man auf den halbjährigen Saisonwechsel hätte verzichten können. Später habe ich die Freude daran entdeckt, die Sachen auf diese Weise alle wieder einmal in die Hand zu nehmen, auszusortieren, was nicht mehr passt, mich über Zeug zu wundern, das ich mal cool fand, Kleider zu betrachten, die ich nie angehabt hatte und mich in Jeans zu quetschen, die mir in diesem Leben nicht mehr passen würden. Der meistgemurmelte Satz bei diesen Aktionen war immer: „Ach Gott, das hab ich ja auch noch…“.

Und so kommt es, dass auch jetzt, in unserer wirklich großen Wohnung, in der es einen maßgezimmerten Kleiderschrank von der Größe einer Kathedrale gibt, in regelmäßigem Abstand das große „Aufräumen und Umsortieren“ stattfinden muss.

Der Graue sagt ängstlich, er könne mir nicht zur Hand gehen und bei ihm gibt es nichts aufzuräumen. Er habe auch sehr viel Arbeit gerade. Dabei geht sein nervöser Blick zum Schrankfach ganz oben, wo wir beide seine dick gefütterten Unterhosen wissen, die er bei einem Manöver im norwegischen Winter vor ungefähr 200 Jahren getragen hat und die seinerzeit sein Überleben im kalten Krieg gesichert hatten. Ich streiche ihm beruhigend übers Haar und schicke ihn in sein Arbeitszimmer, nicht ohne das Versprechen abzugeben, seine norwegischen Unterhosen nicht mal mit einem Blick zu streifen. Dazu habe ich gar keine Zeit. Auf seiner Seite des Schrankes ist gar kein Handlungsbedarf, dafür auf meiner Seite umso mehr.

Zweimal im Jahr muss ich mich also für einen Tag ins Schlafzimmer zurückziehen und die Saisonklamotten wechseln. Und das ist heute. Ziel des Tages: Winter hoch – Sommer runter. Aussortieren, was nicht mehr geht.

Auf meiner Seite des Schrankes gibt es oben kurz unter den 4 Meter hohen Decken noch ein paar Fächer, in die ich die gerade nicht benötigten Kostbarkeiten hineinstopfe, bis wieder die Tage länger oder kürzer werden. Mir kommt die wichtige Frage in den Sinn, ob die Damen bei „Game of Thrones“, wo die Sommer oder Winter immer mehrere Jahre dauern, sich dann bei der Wechselaktion überhaupt an ihre anderen Sachen erinnern? Ich stelle mir vor, wie Sansa ein Winterkleid rauskramt, das sie als Kind zum letzten Mal getragen hat, während ich die große Leiter ins Schlafzimmer bugsiere.

Was dann mehrere Stunden lang passiert, ist jedesmal wieder eine Reise durch mein gesamtes Leben. Auch diesmal hocke ich auf dem Bettrand und betrachtete die Utensilien meiner Vergangenheit: die weiße Fellmütze, die ich meiner Mutter abgeschwatzt habe, als ich Studentin war. Schon damals war sie abgeranzt und ein bisschen schäbig, aber totschick. Ich glaube, ich habe die Mütze nur einmal getragen: Im Dezember 1982 in Moskau. Kein Grund jedoch, sich jetzt von ihr zu verabschieden. Sie darf bleiben und bekommt Asyl ganz hinten, neben der Tüte mit den Babysachen meiner Tochter, die inzwischen 30 ist. Wieder gucke ich mir ihre niedliche kleine gehäkelte Kinderwagendecke an und den putzigen grün-gestreiften Overall, den sie trug, als sie gerade laufen lernte.

Als nächstes fällt mir mein schwarzes Chiffon-Kleid in die Hände, das ich seinerzeit 1996 trug, als ich Kandidatin 1 bei „Herzblatt“ war. Rainhard Fendrich persönlich hat mir dafür auf der After-Show-Party ein Kompliment gemacht. Als ich das Kleid vor wenigen Jahren zum Kapitäns-Empfang auf meiner ersten Kreuzfahrt trug, war der Kapitän entzückt und der Graue sehr stolz. Wie könnte ich mich von diesem Kleid je trennen! Ich lege es vorsichtig nach hinten und bekomme etwas anderes zu fassen: Das Palästina-Tuch, das ich Anfang der 80-er auf einem Festival geschenkt bekam. Ich wickle es mir um den Kopf und stelle fest: Es steht mir noch immer ausgezeichnet und bekommt deshalb denselben Ehrenplatz wie in den letzten …. äh…. 40 Jahren…. (Hier schnappe ich ein bisschen nach Luft, aber dann geht’s wieder…)

Natürlich ist inzwischen die erste halbe Stunde um und ich bin keinen Schritt weiter in Sachen Saison-Wechsel.

Aber was soll‘s: Den schwarzen Pullover mit den winzigen Metallplättchen an den Schultern habe ich 2010 im Greenwich Village von New York gekauft und rechnete sehr stark damit, dass Carrie Bradshaw mir unmittelbar vor der Boutique begegnen würde. War leider nicht der Fall. Der Pullover ist mir inzwischen zu eng und Carrie Bradshaw hat meine Liebe durch zwei doofe Spielfilme vergeigt. Die Metallplättchen sind allerdings immer noch was ganz besonderes. Das Teil darf bleiben und kommt nach hinten, genau dahin, wo es vorher auch schon 10 Jahre lag.

Doch nun weiter, die Zeit drängt. Der Graue kommt gucken, wahrscheinlich sorgt er sich um seine norwegischen Unterhosen. Ich schiebe ihn raus, bevor er fragt, warum ich mein Hochzeitskleid in der Hand halte. Das Kleid war eigentlich ein schlichtes Sommerkleid, zufällig weiß, frech und kurz, ein echtes Schnäppchen. Ich habe an der Kasse im Eastgate in Marzahn den Preis um 3 Euro runtergehandelt, weil ein winziges Fädchen gezogen war. Das hab ich zuhause abgeschnitten und mich diebisch gefreut. Mit meiner Jeansjacke und roten Schuhen kombiniert war es mein perfektes Brautoutfit! Das Kleid kann ich jederzeit wieder tragen, hatte bisher nur noch keine Gelegenheit – deshalb muss es bleiben. Auf dem Bügel darf es nach vorn und wird das erste Stück, das es von oben nach unten in Augenhöhe geschafft hat. Juhu! Ich bin sowas von vorangekommen!

Eine kleine blaue Jacke fällt mir als nächstes in die Hände. Ich muss kichern: Mit meiner Schwester zog ich vor ein paar Jahren in Budapest über die Váci Utca, auf der verzweifelten Suche nach den Hinterhofgeschäften unserer Jugend. Die gab es inzwischen nicht mehr. Wir sahen nur H&M und Colloseum und waren zutiefst verstört, dass das Einkaufsparadies unserer Jugendjahre den langweiligen Geschäften gewichen war, die wir auch zuhause hatten. Aus lauter Frust kaufte ich mir in Budapest die blaue Jacke bei New Yorker, die ich in Berlin eine Woche später im Schaufenster hängen sah. Die Jacke darf trotzdem bleiben, sie passt so schön zu meinem Brautkleid aus Marzahn und erinnert mich trotzdem an Budapest, die schönste Stadt der Welt, als ich 20 war.

Und so arbeite ich mich von Kleidungsstück zu Kleidungsstück weiter vorwärts, stopfe die Winterjacken ins oberste Fach und hole den Schuhkarton mit den bunten Tüchern nach unten: Die Farben von San Vincent als Kopftuch, das muss ich dieses Jahr unbedingt wieder tragen. Ich erinnere mich an die bildschöne junge Frau, die mir das Tuch verkauft hat, auf einer winzigen Insel in der Karibik, die sie noch nie verlassen hat. Warum sollte sie, es gibt ja hier alles, was das Herz benötigt, hatte sie gesagt. Ähnliche Erinnerungen hängen an den knallbunten Tüchern aus Kapstadt, aus Byron Bay und aus Little India in Singapur. Die Farben bringen neben den Bildern dieser zauberhaften Orte auch den Sommer in mein Schlafzimmer, wo ich träumend auf der Bettkante hocke und mir Tücher ins Haar binde.

Der Graue guckt. Was ist los, fragt er und schielt nach oben. Seine Schrankfächer sind zu, die Norweger in Sicherheit. Er verzieht sich wieder – und ich mache weiter. Zur Abwechslung bekomme ich ein Ärgernis in die Hände: Ein Kleid, bei dem ich die Ärmel kürzen wollte, meine erste eigene Arbeit mit der nagelneuen Nähmaschine. Ich hab irgendwie die Ärmel versehentlich zusammengenäht statt gekürzt. Die Nadel wackelte, der Faden verhedderte sich, was weiß ich. Ich bekam einen Wutanfall und schmiss das Kleid zur Strafe ins oberste Fach. Es kratzt sowieso und mit einem umgenähten und einem verwurschtelten Ärmel ist es eigentlich untragbar in jeder Hinsicht. Es kommt von ganz oben direkt auf den nagelneuen „Aussortieren“-Stapel. Marie Kondo wäre stolz auf mich. Dass ich das T-Shirt vom Freundschaftstreffen mit der Jugend Bulgariens von 1988 nochmal sanft streichle und zusammen mit meinen Pionierhalstüchern (blau UND rot) ganz hinten verstecke, muss sie ja nicht wissen. Ich lege einfach die ca. 20 dicken Winterschals davor, die ich in allen Farben habe und auch dringend brauche.

Als die Sonne tief ins Schlafzimmerfenster scheint, klappe ich schließlich die Leiter zusammen. Ich habe die Saison-Wechsel-Aktion erfolgreich abgeschlossen und im wahrsten Sinne des Wortes das oberste nach unten gekehrt. Unten hängen meine Sommerkleidchen farbenfroh auf den Bügeln. Oben liegen die dicken Winterkleider und die Wollstumpfhosen und beschützen meine heimlichen Schätze, die ich fein säuberlich zurückgeräumt habe. Wie gut ich doch den Grauen verstehe, der sich an seine norwegischen Unterhosen klammert und mir erzählt, er hätte den kalten Krieg damit gewonnen.

Ich werfe einen letzten Blick auf meine versteckten Erinnerungsstücke und schließe die Schranktür.

Spätestens im Oktober geht das Theater von vorne los.

Ach, was sage ich – nächstes Wochenende!

Denn die Schuhe muss ich ja auch noch durchsehen.

 

 

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Kommentare

Kommentar von Reimann Sybille |

Ich bin die Schwester, die, Welche in Budapest dabei war. Mir geht es jedes Jahr so. Inzwischen sind die Fächer oben und hinten mehr. Die gehören mal abgeschafft. Aber auch ich kann es nicht. Wie der Graue....

Kommentar von Cornelia König |

Di etwas Schönes können nur Frauen!
Die Herren der Schöpfung wissen gar nicht, was sie verpassen.

Kommentar von Martina |

Habs auch gerade hinter mi und ein neues System entwickelt: nach 3 warmen Wintern gibts bei mir jetzt den Ganzjahresschrank, in dem die momentanen Lieblingsstücke ( und das sind viele!) hängen - man kann ja auch luftige Sommerkleidchen im Winter mit Pulli drüber und Hosen und Boots kombinieren. Und dann gibts den Reserveschrank, mit den gerade nicht so geliebten Sachen ( und das sind auch viele!!). Und wenn ich das Gefühl habe, ich hab nix anzuziehen, geh ich an den Teserveschrank und tausche. So der Plan...

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